Montag, 2. September 2013

Die Intimität der Musik

Foto: EMQI
Der Tübinger David Orlowsky ist einer der bedeutendsten Klezmer-Musiker Deutschlands. Mit seinem Trio gilt er heute als richtungsweisend im Bereich der neuen Weltmusik. Das belegen nicht zuletzt  die zwei ECHO-Auszeichnungen, die Orlowsky verliehen wurden. Die Konzerte seines Trios sind Höhepunkte, wie man sie in ihrer Intimität selten erlebt. Im Gespräch mit mir erklärt der Klarinettist den Unterschied zwischen Klezmer und populärer Musik, und sagt, warum sie nicht im Stadion funktioniert.


Was haben David Orlowsky und David Garrett gemeinsam?
(lacht) Nur den Vornamen.

Stimmt nicht ganz: Beide haben ihren ersten ECHO-Klassik im Jahr 2008 gewonnen.
Oh, okay, dann haben wir doch etwas gemeinsam. (lacht)
 
Und was unterscheidet den einen David von dem anderen?
Eigentlich eine ganze Menge. Erst mal natürlich das Instrument, David Garrett spielt Geige, ich Klarinette. Und auch in der Musik unterscheiden wir uns. Wir haben uns zwar damals beim ECHO kurz kennengelernt, aber ich kenne ihn dennoch nicht wirklich.

David Garrett ist heute ein Star, dich kann man trotz deiner Erfolge ruhigen Gewissens als einen »Geheimtipp« bezeichnen. Ist Klarinette nicht so massentauglich wie Geige?
Unsere Musik ist sicherlich etwas weniger kommerziell als das, was David Garrett macht. Bei uns im Trio ist es wirklich nicht das Ziel, möglichst viele Menschen zu erreichen. Das wäre mit Klezmer auch ziemlich schwer. Unsere Variante der Musik ist ziemlich komplex. Der Klezmer, wie wir ihn spielen, ist harmonisch weiterentwickelt, es kommt vieles aus dem Jazz, vieles aus der zeitgenössischen Musik dazu. Das ist etwas, was uns persönlich sehr interessiert, aber nicht unbedingt die ganz große Masse anspricht.

Hoffst du, dass es sich eines Tages ändert und auch Klezmer in der Mitte der Musikgesellschaft ankommt?
Wir machen das, was uns gefällt, und ich habe nicht das Gefühl, dass wir zu wenig Erfolg damit haben. Unsere Musik ist nicht für Stadien gemacht. Wir fühlen uns in Kirchen, in Kammermusiksälen, in kleineren Räumen, in denen man den direkten Draht zum Publikum hat, wohl. Das funktioniert nicht, wenn 5.000 oder 10.000 Menschen im Publikum sitzen. Die Intimität der Musik würde man so überhaupt nicht mitbekommen.

Du bist zweifacher ECHO-Preisträger. Welche Bedeutung haben solche Preise für dich?
Natürlich haben die Preise eine Bedeutung insofern, dass sie eine Wertschätzung sind, die einen freut. Gleichzeitig bedeuten sie aber nicht, dass man etwas erreicht hat, auf dem man sich ausruhen kann. Ich glaube keinem, der behauptet, solche Preise wären ihm egal.

Wie ist das typische David Orlowsky-Publikum?
Die meisten Menschen, die zu unseren Konzerten kommen, sind Menschen, die sich mit Musik beschäftigen. Sie hören viel Musik, gehen viel auf Konzerte, kaufen sich viele Platten. Das sind Menschen, für die Musik im Leben sehr wichtig ist. Menschen, die nur mal kurz zum Musikantenstadel reinschalten und ansonsten nur das Radio anmachen, findet man bei uns nicht. Für sie ist unsere Musik wahrscheinlich nicht direkt genug. Bei uns muss man auf die Musik zukommen, sich diese erschließen. Ein Florian Silbereisen beispielsweise bedient sich ganz einfacher Strukturen, was die Musik angeht. Das will ich nicht bewerten und sagen, dass dies schlecht sei. Das ist einfach nur eine ganz andere Art und Weise, Musik zu machen. Sie kommt direkt und ohne Umwege bei den Menschen an.

Wie hast du dir die Musik erschlossen? Schließlich hast du schon im Alter von 10 Jahren damit angefangen.
Musik hat bei uns in der Familie immer eine große Rolle gespielt. Meine Mutter ist Geigenlehrerin, meine Schwester hat Geige gespielt, mein Bruder ist ein sehr guter Pianist. Bei mir hat sich das im Laufe der Zeit entwickelt. Anfangs war ich gar kein Klassik-Fan, ich wollte nur Michael Jackson hören. Durch Konzerte und Hörerlebnisse hat sich das Interesse an der Musik immer weiterentwickelt.

Dabei hast du zunächst nicht Klarinette, sondern Schlagzeug gespielt...
Ich war als Schlagzeuger mit einem Orchester unterwegs und durfte mal in eine Klarinette reinblasen. Das war für mich ein echtes Aha-Erlebnis. Ein Jahr später war ich dann auf einem Konzert von Giora Feidman (einer der bekanntesten Klezmer-Musiker weltweit, Anm. d. Red.), von da an hat mich die Klarinette richtig gepackt.

Hat Giora Feidman deinen musikalischen Werdegang nachhaltig geprägt?
Absolut. Er hat ihn überhaupt erst in Gang gesetzt. Davor war ich ein typischer Musikschul-Schüler, mäßig motiviert und mit mehr Interesse für andere Sachen. Dank Giora Feidman habe ich festgestellt, dass Musik mich richtig begeistern kann. Davor war ich ein Musikkonsument, er hat den Wunsch in mir ausgelöst, selber etwas zu machen.

Du warst im besten Teenager-Alter, als du in die Lehre von Giora Feidmann gegangen bist. Hat man als 16-Jähriger nicht ganz andere Probleme im Kopf?
(lacht) Naja, es ist nicht gerade ein Coolness-Faktor, wenn man zu Hause bleibt und Klarinette übt. Aber mein Gott, jeder macht das, was er will. Andere haben Fußball gespielt, bei mir war es die Klarinette. Ja, ich war 16, aber ich bereue es nicht.
 
Kannst du dir heute überhaupt noch einen Tag ohne das Instrument vorstellen?
Oh, ja! (lacht) Und das schon sehr bald. Noch zwei Konzerte spielen, eine Aufnahme machen und dann geht es in den Urlaub. Dann ist die Klarinette schön im Schrank verstaut und ich gehe surfen.

Du und dein Trio habt euch musikalisch immer weiterentwickelt. Unter welchen musikalischen Einflüssen steht ihr? 
Der Ursprung, den man nach wie vor in vielen Stücken durchschimmern hört, ist natürlich Klezmer. Ansonsten sind es viele Einflüsse. Es ist zum Beispiel ganz viel elektronische Musik dabei. Ich glaube, dass alles, was einen klanglich umgibt, den Geschmack formt. Alles, was ich auf meinem iPhone oder im Radio höre, beeinflusst mich und das, was ich schreibe.

Ist Klezmer in deinen Augen eine unterschätzte Musik?
Ich weiß gar nicht, ob man Musik »unterschätzen« kann. Denn jeder geht doch im Endeffekt auf die Konzerte, auf die er Lust hat.

Was fasziniert dich an der Musik?
Sie hat mich einfach ganz intuitiv angesprochen, ich habe sie sofort verstanden. Ich glaube, viele Menschen würden sie schnell verstehen, weil sie eine ganz menschliche Ebene hat. Durch die Tonalität und Rhythmen ist die Musik sehr emotional.

Ihr beschreibt eure Musik als »Kammerweltmusik«. Kannst du bitte erklären, was dahintersteckt?
Der Begriff setzt sich aus zwei Bestandteilen zusammen: Kammermusik und Weltmusik. Kammermusik deswegen, weil wir uns als gleichwertiges Kammermusikensemble sehen. Das ist keine Soloklarinette mit einer Rhythmustruppe hinten dran – auch wenn es David Orlowsky Trio heißt. Das war, nebenbei bemerkt, überhaupt nicht meine Idee. Das ist der Kammermusikteil. Wir achten auch sehr viel auf Feinheiten, können stundenlang an irgendwelchen Noten rumschrauben. Die Weltmusik kommt daher, dass das Tonmaterial und die gewisse Direktheit, das Tänzerische aus allen möglichen Musikstilen kommt. Balkan ist eindeutig hörbar, öfter auch mal arabische Sachen, besonders in den improvisierten Abschnitten.

Wie viel roter Faden und wie viel Improvisation gibt es auf den Konzerten vom David Orlowsky Trio?
Das hängt immer ein wenig vom Abend ab, von den Gästen, von dem Raum, in dem wir auftreten. Die Stücke haben alle ein Gerüst, eine feste Form. Aber in den Stücken gibt es ganz freie Abschnitte, die Raum für ein Solo lassen. Außerdem haben wir immer die Freiheit, verschiedene Sachen zu variieren und quasi um die Stücke drum herum zu spielen. Das ist nicht wie beim Mozart-Klarinettenkonzert, bei dem jede Note vorgeschrieben ist. Kein Konzert ist wie das andere, das wäre sonst ziemlich langweilig.