Freitag, 26. April 2013

Killswitch Engage und Sylosis live

Diesmal etwas Anderes, weniger text- dafür umso bildlastiger. Ich war vor Kurzem auf einem Konzert von "Killswitch Engage" und "Sylosis". Sie touren gerade immer noch durch Europa. Und so oder so ungefähr war's: Text zuerst, Fotos (alle © ich)


Es war ohne Zweifel das wohl härteste Konzert des Monats in Stuttgart und der Region. »Killswitch Engage«, die Metalcore-Band aus den USA, hat am 9. April buchstäblich Kleinholz aus dem Stuttgarter LKA gemacht. Weder auf noch vor der Bühne gab es kein Halten. Die Energie, mit der die Band seit 1999 über die Bühnen der Welt fegt, sprang vom ersten Song an auf die Fans über, was in einem großen Circle-Pit endete. Und das war erst der Anfang. Ohne Handbremse ging es so die nächsten anderthalb Stunden. Songs aus allen Epochen der Band, mit einem leichten Übergewicht auf dem aktuellen Silberling "Disarm the Descent", fanden den Weg in die Set. Viele eingefleischte Fans brachte es auch schier zur Extase, dass die ganz alten Songs keineswegs unter den Tisch fallen gelassen wurden. Im Gegenteil. Ein wahres Fest für den neuen alten Frontman und Shouter Jesse Leach. Um ihn an diesem Abend aufzuhalten, hätte es schon einer Sondereingreiftruppe bedurft. Da von KSK noch von GSG9 weit und breit keine Spur war, durfte er und seine Kollegen so richtig austoben. Zur großen Freude derer vor der Bühne. Und Stehvermögen, so viel wurde an diesem Abend klar, haben die KSE-Fans allemal. Denn bereits bei der Vorband »Sylosis«, die einen hervorragenden Job hinlegten, war die Stimmung dem Siedepunkt nahe. Abkühlung gab es erst nach dem Konzert auf dem Weg zum Auto.











"Siegertypen" aus Tübingen

»Es bleibt kein Auge trocken und keine Gehirnzelle unangetastet«, urteilte die Jury und verlieh dem Tübinger Comedy-Duo am 11. April in Karlsruhe den Kleinkunstpreis Baden-Württemberg 2013. Ein überraschender Erfolg für Harry Kienzler und Jakob Nacken. Und doch ist er nur der Anfang. Denn die »Siegertypen«, wie sich die beiden auf der Bühne nennen, haben jetzt Rückenwind bekommen.

Wie schnell und überraschend alles plötzlich gehen kann... Als irgendwann im Februar der Anruf seiner Freundin Jakob Nacken erreichte, rechnete er mit allem, nur nicht damit, dass seine Freundin ihm verkündet, dass er mit seinem Bühnenpartner Harald »Harry« Kienzler soeben den Kleinkunstpreis Baden-Württemberg 2013 gewonnen habe. Diese hat es von der Nachricht auf dem Anrufbeantworter erfahren. »Natürlich war das völlig überraschend«, erinnert sich das Duo. Denn dass sie vor nicht allzu langer Zeit ein Bewerbungsvideo für den Preis eingereicht hatten, hatten sie gar nicht mehr auf dem Schirm. Umso erfreuter kam dann auch die Nachricht vom Gewinn.
»Die Prüfungskommision hat wohl irgendwann inkognito einen unserer Auftritte besucht«, sagt Harry Kienzler. Und das, was sie dort gesehen haben, muss ihnen gefallen haben. Denn als »Siegertypen« machen Jakob Nacken und Harry Kienzler keine Comedy »von der Stange«. Sie verflechten gekonnt Poesie, Lyrik und Sprachgewandtheit mit einer gehörigen Portion Humor. Eine Kombination, die man nicht häufig auf deutschen Kleinkunstbühnen sieht und die es noch zu entdecken gilt. Denn schnell findet sich das Duo in einer Schublade wieder. »Wir wollen natürlich jedes Publikum ansprechen«, so Kienzler, »aber wir landen dann doch immer wieder bei ‘anspruchsvollen‘ Sachen.« In der intellektuellen Ecke sind sie zu Hause. Ihre Stärke und Qualität in den Texten zeichnet die beiden 34-Jährigen aus. Sie ist ein Markenzeichen, macht ihre Comedy besonders. »Wenn wir normale Comedy machen würden«, so Nacken, »wären wir wahrscheinlich ziemlich schlecht.« Und doch, sind sie überzeugt, sind ihre Nummern nicht nur für Germanistik­studenten geeignet. »Alleine schon deswegen, weil Germanistikstudenten meistens nicht genug Geld haben, damit wir über die Runden kommen«, lacht Nacken.
Diese Art von Comedy war nur der logische Schritt für die beiden gewesen. Ihre Wurzeln haben sie in der Poetry-Slam-Szene. Dort haben sich der aus Köln stammende Nacken und der Stuttgarter Kienzler während ihrer Studienzeit in Tübingen kennengelernt, haben sich 2006 als Duo formiert, auf Anhieb den Vize-Titel bei den Deutschen Poetry-Slam-Meisterschaften geholt. Dort sind sie auch weiterhin aktiv. Nur ist im Laufe der Zeit die Idee gewachsen, aus dem, was sie bislang für ihre Slams geschrieben haben, ein Abendprogramm zu machen. Mit Dietlinde Ellsässer haben sie eine Regisseurin gefunden, die seit vielen Jahren die regionale Comedy- und Kabarett-Szene geprägt und mit Jakob Nacken als »Die Landpomeranze« bereits ein gemeinsames Bühnenprogramm hat. Trotz unzähliger Auftritte auf der Bühne musste das Duo lernen, dass ein abendfüllendes Comedy-Programm etwas ganz anderes ist als Poetry Slam, bei dem man meistens fünf Minuten hat, um das Publikum für sich zu gewinnen. »Das macht man natürlich mit einer ganz anderen Energiedichte«, berichtet Nacken. »Wenn wir mit dieser Energie den ganzen Abend gestalten, dann kriegen irgendwann alle einen Vogel.« Sie mussten lernen, sich an die Gegebenheiten und das Publikum anzupassen. Und der Lernprozess ist noch lange nicht vorbei. So sagen sie, müssen sie die Kontraste, die Reibepunkte zwischen den beiden Figuren auf der Bühne, zwischen Harry und Jakob, noch besser herausarbeiten. Schließlich könne man sich auf der Bühne Sachen trauen, die man sich sonst im Privaten nicht traut. Und es hat noch einen weiteren positiven Nebeneffekt: Durch das Kreative auf der Bühne werde man mutiger und selbstbewusster. So kann man sicher davon ausgehen, dass mit dem Selbstbewusstsein eines Preisträgers des Kleinkunstpreises Baden-Württemberg in Zukunft noch einiges von den »Siegertypen« zu hören sein wird. Das wäre dann allerdings keine Überraschung mehr.

Mehr zu den beiden auf http://harry-und-jakob.de

Donnerstag, 4. April 2013

Mit "Dodokay" in die Achtziger

Man kennt ihn als Schwaben-Synchronisator »Dodokay«, das Internet und das Fernsehen sind sein Metier. Doch Dominik Kuhn ist mehr als das. Er ist Regisseur, Tontechniker, Produzent und, und, und ... und er ist Musiker. Sein Projekt »Welcome To The Pleasuredome« lebt den Geist und die Musik der 80er-Jahre und feiert im April sein Comeback am 30. April auf dem Reutlinger Marktplatz. Ich traf Kuhn in seinem Studio und sprach mit ihm über die Achtziger, bombastische Shows und ausgebrannte Seelen.

Was ist an den 80er-Songs so toll?
Ich bin ein Kind der 80er und bin mit der Musik groß geworden, von der es eine ganze Bandbreite gibt. Die meisten Bands, die 80er-Musik spielen, fahren entweder die Rock-Schiene mit Bon Jovi oder Van Halen. Oder sie stehen auf der Soul-Seite wie Sister Sledge oder Kool and the Gang. Kein Mensch spielt Tears for Fears, Depeche Mode, Frankie Goes To Hollywood, Madonna oder Michael Jackson. Und wenn es doch jemand macht, kocht man das in der Regel auf eine 5-Mann-Combo runter. Dann klingt es aber scheiße – finde ich. Ich wollte dagegen eigentlich schon immer eine Band machen, die diesen besonderen Pop live spielt, gemeinsam mit ganz besonderen Musikern.

Welche persönliche Beziehung hast du zu dem Jahrzehnt?

Das war meine Disco-Jugend und es ist noch vieles davon präsent. Was ich allerdings nicht habe, ist so eine verklärte Nostalgie. Wenn ich Frankie Goes To Hollywood höre, finde ich das immer noch geil – in musikalischem Kontext. Ich bin kein Retro-Mukke-Typ. Ich höre moderne Musik von ... bis .... Wenn ich mir Mixtapes mache, dann gibt es dort alles von Rammstein bis Jazz. Auch die Idee zu der Band heute fällt schon in die 80er. Es muss 1988 oder 1989 gewesen sein. Ich habe damals beim Radio als Musikredakteur gearbeitet und sie haben mich auf ein Rick-Astley-Konzert in die Stuttgarter Liederhalle geschickt. Ganz ehrlich, ich habe erwartet, dass das gruselig wird. Als dann aber der Vorhang fiel, kam die große Überraschung: Eine zwölfköpfige Band stand auf der Bühne, mit Bläsern, Backing-Chor, Keyboarder, zwei Gitarristen – und sie haben diesen Rick Astley-Plastik-Sound live sehr fett gespielt! Das Konzert war großartig und hat mir die Augen geöffnet, denn dieser Pop klingt, wenn er live entsprechend performt wird, richtig geil. Das war die Initialzündung für die Band von heute, auch wenn ich damals natürlich nicht vorhatte, eine 80er-Cover-Band zu machen. Doch auch wenn ich in all den Jahren ganz viele andere Sachen gemacht habe, habe ich den Plan für dieses Bandprojekt nie aus den Augen verloren. Bevor es mit der Band losging, habe ich allerdings jahrelang am Sound getüftelt. Gerade bei Trevor-Horn-Produktionen (Frankie Goes To Hollywood). Er hat Sounds, da weiß kein Mensch, wo die herkommen. Und ich habe mir den Kopf zerbrochen, was das sein könnte – und das meiste habe ich tatsächlich herausgefunden.

Damals in den 80er-Jahren gab es zwei große Jugendbewegungen: Rocker und Popper. In welcher warst du zu Hause?
Nirgends, ich war schon immer ein komischer Typ. (lacht) Aber wenn, dann würde ich mich eher zu den Poppern zählen, wenn auch nie so richtig. Discomäßig war ich eher im Black Mustang in Reutlingen als in der Rockfabrik in Ludwisgburg. Aber ich bin kein Cliquen-Typ und eigentlich schon immer eher ein Einzelgänger. Außerdem war ich immer einer, der lieber selber was macht, anstatt nur zu konsumieren. Darum habe ich auch viel als DJ gearbeitet und bin dann privat eher weniger in die Discos.

Einen ganz bestimmten Musikgeschmack hattest du demnach nicht? Spiegelt sich das in der Musikauswahl von »Welcome To The Pleasuredome« wider?
Ja, eigentlich schon. Ich habe zwar ganz großkotzig behauptet, wir spielen nur 80er-Popmusik und keinen Rock. Aber das stimmt nicht. Wir spielen auch was von Billy Idol, »Never let me down« von Depeche Mode haben wir ein ziemlich rockiges Gewand verpasst, und wir haben sowieso zwei Gitarristen dabei. Aber keine Sorge, wir spielen auch ein Stück von Rick Astley. Das musste einfach sein. (lacht)

Die Band umfasst zehn Mitglieder, die Show verspricht »Blitz und Donner« – warum der große Aufwand?
Erstens: Es ist eine persönliche Geschichte. Ich komme aus der Show-Produktion, war früher in der Veranstaltungsbranche überall in der Welt unterwegs, habe ganz große Shows gesehen und habe jetzt einfach Bock, selber mal was auf der musikalischen Kreativseite zu machen. Und wenn wir was machen, dann probieren wir es in groß. Ich muss auch anmerken, dass die Produktion der Show verdammt viel Geld kostet. Der Eintrittspreis in Reutlingen von 29,50 Euro reicht nicht, um die Kosten zu denken. Daher mache ich dieses Heimspiel erstmal mehr aus persönlichem Enthusiasmus, und natürlich filmen wir auch mit, damit wir Promomaterial haben, um dann vielleicht mal über eine Tour reden zu können. Die zweite Motivation für den Riesen-Akt ist mindestens genauso wichtig: Die Songs, die wir uns ausgesucht haben, klingt nur authentisch, wenn man denselben Aufwand betreibt wie die Original-Acts damals. Dafür braucht man entsprechend viele Musiker und viel Technik. Das ist übrigens ein ganz wichtiger Grund, warum es sonst kaum jemanden gibt, der das so spielt.

Du hast bereits erwähnt, dass die Idee zum Projekt ganz alt ist. 2004 fingen damals die Vorproduktionen an, 2007 hat das Projekt erstmals die Bühne betreten. Warum wurde es dann ruhiger?
Wie die meisten wissen, mache ich als »Dodokay« schwäbische Synchros. Die habe ich 2005 angefangen, und Ende 2006 ging es erfolgsmäßig dann richtig los. Dabei waren die Synchros nie als mein großer Hit geplant. Wenn mir damals jemand gesagt hätte, dass von dem ganzen Zeug, das ich mache, ausgerechnet die Synchros durchstarten, hätte ich wohl nur mit dem Kopf geschüttelt. »Welcome To The Pleasuredome« hatte im Mai 2007 Premiere und erst im August hatte ich dann meinen bis dato größten Schwaben-Synchro-Hit, den Todesstern-Film. Kein Mensch hat damit gerechnet und plötzlich ging mit der schwäbischen Comedy voll die Post ab und für andere Projekte war kaum noch Zeit. Für die Band war das fatal, denn aufgrund der Größe hätte man das nicht ein bisschen nebenher machen können. Also ist das Projekt eingeschlafen.

Wie und warum wurde es wieder erweckt?
Ich habe in der ganzen Comedy-Zeit gemerkt, dass sich das Projekt immer noch da oben auf meiner Festplatte im Kopf dreht. Das war nie weg. So groß angefangen, so viel Asche in die Hand genommen, so ein großer Akt – das hat mich nie in Ruhe gelassen. Und jetzt habe ich mir gesagt, dass wir entweder noch weitere fünf Jahre rumquatschen können oder wir spielen jetzt einfach mal wieder. Im vergangenen November haben wir also einen Punkt gemacht und gesagt, dass es weiter geht. Meine anderen Projekte stehen jetzt eben erstmal auf »hold«. Wie fühlt es sich an, dass es wieder losgeht? Es ist eher so ein Fifty-Fifty-Ding. Musikalisch und inhaltlich macht mir das unheimlich viel Spaß. Da aber die Produktion so groß und so teuer ist, gibt es auch kaum Veranstalter, die das Ding für mich in die Hand nehmen und einfach mal produzieren. Das heißt, ich musste jetzt mein ganzes Skill-Set, was ich in den letzten 25 Jahren gelernt habe, auspacken. Ich bin derzeit die technische Leitung, die Produktionsleitung, Co-Veranstalter, künstlerischer Direktor und stehe auch noch bisschen auf der Bühne. Anders kriege ich dieses Riesending nicht hin. Aber ich will nicht jammern, es macht Spaß.

Haben die anderen Bandkollegen auch schon lange auf den Tag hingefiebert, wenn es mit dem »Pleasuredome« weitergeht?
Ja, immer, wobei wir jetzt zum Teil eine andere Besetzung haben. Einige konnten nicht mehr, andere haben sich anders entschieden. Aber der harte Kern der Band ist noch da und hat tatsächlich ständig gefragt, wann es denn endlich weitergehe – zu Recht.

Du hast eingangs erwähnt, dass ihr keine typische Oldie-Band seid. Mit welchem Publikum rechnest du beim Konzert?
Ich denke, unsere Hauptzielgruppe ist 30-Plus. Aber ich sehe jetzt schon am Vorverkauf, dass das Publikum vom Alter her eine große Bandbreite darstellen wird. Wir haben ja auch Leute in der Band, die in den 80ern noch gar nicht auf der Welt waren. Und sie alle haben tierisch Bock auf die Musik.

Geschwäbelt wird aber nicht?
Nein! Ich verstehe ja, wenn alle sagen »Des isch dem Dodokay sei Band«. Stimmt schon irgendwie. Aber »Dodokay« gab es noch gar nicht, als es die Band schon gab. Jetzt heißt es natürlich, aha, der Typ mit den Schwabensynchros macht auf einmal Musik. So ist das aber nicht. Beispiel: Als »Dodokay« habe ich auf Facebook rund 16.000 Fans. Wenn ich da auf die Pinnwand schreibe »I breng grad d‘ Mülleimer naus«, drücken 300 Leute auf »gefällt mir« und es kommen 50 Kommentare. Wenn ich aber schreibe »Ich spiele mit meiner 80er-Cover-Band auf dem Marktplatz«, kom- men fünf Daumen hoch und drei Kommentare. Das ist heute einfach so. Die Schwaben-Dodokay-Fans interessieren sich null für irgendwas anderes, was ich mache. Ich finde es natürlich toll, wenn meine Fans wegen mir zu der Band kommen. Aber ich sage gleich: Es wird nicht geschwäbelt.

Wie sieht es mit deinen weiteren Projekten aus, was ist alles in der Pipeline?
Also erst mal bleibt »Welcome To The Pleasuredome« hoffentlich keine einmalige Sache. Wenn die gigantische Vorproduktion weg ist, ist es in erster Linie eine Band, die zu einem Gig rausfahren kann. Das heißt, wenn »Pleasuredome« dann nebenbei läuft, habe ich wieder Zeit für meine weiteren Projekte. Es wird natürlich wieder Schwäbisch-Synchros geben, auch auf Youtube. Aber dazu muss ich erstmal paar rechtliche Sachen regeln, da sich auf diesen Online-Plattformen viel geändert hat. Und dann steht eigentlich seit über drei Jahren eine Dodokay-Live-Bühneshow auf dem Zettel. Ich habe auch schon einen Veranstalter, der mich ständig löchert, wann es denn endlich losgehe. Wahrscheinlich wird es 2014 werden, bis die Show auf der Bühne ist. Und das dritte wichtige Projekt ist ein Spielfilm, den ich als Regisseur drehe. Ich sehe mich hauptsächlich als Filmer und es wird einfach Zeit, dass ich mal was Eigenes drehe. Und natürlich, weil man es von mir erwartet, wird es eine schwäbische Komödie.

Klingt wieder nach jeder Menge Arbeit. Vor drei Jahren ist dir die Arbeit über den Kopf gewachsen und du hast den Stecker gezogen, hast dich zurückgezogen. Besteht diese Gefahr nicht mehr?
Vor drei Jahren war es tatsächlich so, dass ich viel zu viel Zeug gemacht und überhaupt nicht mehr darüber nachgedacht habe, was ich da eigentllich treibe. Ich hatte meinen normalen Job als Werbefilmer, dann kam Dodokay dazu, Pleasuredome war immer aktuell und auf einmal war es zu viel ... Damals habe ich vor allem einen Fehler gemacht: Ich habe die Leute bedient, ohne nachzudenken. Wenn jemand angerufen und angefragt hat, dann habe ich zugesagt. Ich habe überhaupt nicht gefiltert. Dann hat mir die Seele irgendwann Warnzeichen geschickt und gesagt, ich solle mal langsam machen. Daraus habe ich viel gelernt, und obwohl ich jetzt wieder sehr sehr viel mache, kann mich auch einschränken, Pausen machen. Darum ist momentan auch »Pleasuredome« meine Nummer eins und der Rest kommt danach wieder.

Mittwoch, 3. April 2013

Muskeln unter Strom

EMS – das steht für »Elektrische Muskel-Stimulation« und ist ein neuer Trend im schnelllebigen Fitness-Universum. Dabei werden die Muskeln über Stromimpulse zur Anspannung gebracht. Das Ergebnis: effektives Krafttraining ohne Gewichte. Wie das genau funktioniert, ob es wehtut und wie sinnvoll das EMS Training überhaupt ist, das hat MORITZ-Redakteur Alexander Steinle in einem Selbstversuch herauszufinden versucht.

»Du machst was?« – diese Frage begleitete mich ständig, wenn ich das Thema der Gespräche im Freundeskreis auf EMS Training lenkte. Die einen wussten nicht, was EMS Training ist, die anderen dafür umso mehr. »Ja, ich lasse mir Strom durch die Muskeln jagen.« – »Warum?« – »Gute Frage...« Die Antwort finde ich heraus.
Lars Rometsch, der mit dem Sportsroom ein kleines EMS-Studio in Stuttgart-Weilimdorf betreibt, nimmt mich unter seine Fittiche und führt mich in die Welt des EMS Trainings ein. »EMS«, erklärt er, »steht für Elektrische Muskel-Stimulation.« Über Stromimpulse werden Muskeln zur Anspannung gebracht und man simuliert sozusagen das herkömmliche Krafttraining. Nur spart man sich dabei die Gewichte. Denn je nach Stromspannung und der dadurch resultierenden Anspannung wird den Muskeln suggeriert, sie müssten etwas Schweres heben. Die Kraft kommt aus der Steckdose.
Eine Frage spukt mir schon die ganze Zeit vor dem Selbstversuch im Kopf herum: Tut das weh? »Es kann wehtun«, der Trainer versucht gar nicht erst, mich zu beruhigen. Auf jeden Fall spüre man den Strom ganz deutlich. Das seien aber keine Schmerzen, wie man sie sonst kenne, es ist einfach eine starke Anspannung. Kurz übermannen mich Zweifel. Soll ich das wirklich machen? Ach, was soll’s, ich bin nicht der Erste und auch nicht der Letzte. Und überlebt haben bislang alle. Glaube ich…
Bevor es losgeht, muss ich noch eine Erklärung unterschreiben, in der ich versichere, keine akuten Erkrankungen und keinen Herzschrittmacher zu haben sowie nicht schwanger zu sein. Denn auch wenn EMS Training für fast alle geeignet ist – vom Freizeitsportler bis zum Profi, vom Jugendlichen bis ins hohe Alter – ein paar Sachen muss man beachten. Die Unterschrift ist trocken, jetzt gibt es kein Zurück mehr! »Wie groß ist in der Regel dein Schmerzempfinden?«, werde ich noch gefragt. »Kommt ganz auf die Art des Schmerzes an«, antworte ich und versuche möglichst cool zu wirken. Mein Gegenüber lächelt. Ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Egal, es ist zu spät.
Zunächst heißt es raus aus den Klamotten und rein in schwarze Baumwoll-Funktionswäsche. Darüber kommt der eigentliche Anzug mit Elektroden. Jeweils zwei befinden sich am Gesäß, am Bauch und an der Brust. Um die Oberschenkel und um die Oberarme kommen Extragurte. Alles sitzt ganz eng am Körper, ich fühle mich leicht eingeschnürrt. »Man fühlt sich doch gleich irgendwie besser, schlanker, oder?«, fragt mich Rometsch. "Ja, genau, oder wie eine Presswurst", denke ich noch. Doch hier geht es nicht ums Aussehen, hier geht es ums Überleben. Einen letzten Sicherheitshinweis gibt es noch: »Bei 40-50 Prozent der Menschen kann es vorkommen, dass sie bei der ersten Spannung Atemschwierigkeiten bekommen. Sobald du etwas Unangenehmes spürst, bitte gleich Bescheid geben. Ich stelle dann das Signal um.« Ich bin völlig entspannt...
Über jede Elektrode kann man individuell die Spannung in den jeweiligen Muskelgruppen steuern. Ist die Grundspannung eingestellt, wird es spannend. Vorsichtig wird der große Drehknopf an dem EMS-Gerät – dieses stammt von »Amplitrain« und arbeitet anders als andere auf dem Markt mit einer Mittelfrequenz, die tief in den Muskel vordringen soll – nach rechts gedreht. Ich spüre anfangs ein leichtes Kribbeln in den Muskeln. Ein Gefühl, wie man es von eingeschlafenen Gliedmaßen kennt. Alles halb so wild bislang. Die viel zu vielen Gedanken und Sorgen im Vorfeld waren unbegründet. Denke ich. Noch.
Oha! Das Signal wird stärker, die Spannung in den Muskeln größer. Die vermeintlich einfache Aufgabe für mich: Wenn die Spannung steigt, mit der Muskelkraft dagegen ankämpfen. Wenn die Spannung wieder etwas nachlässt, die Muskeln kurz lockern. Das ist schon mal kein Problem. Ich sehe wohl noch zu entspannt aus, denn kaum habe ich mich an den Strom gewöhnt, dreht der Fitnesstrainer den Drehknopf weiter nach rechts.
Okay, langsam verstehe ich, warum er mich nach meiner Toleranzgrenze bei Schmerzen gefragt hat. Die Elektroimpulse sind jetzt ganz deutlich zu spüren und ich kann nicht behaupten, dass sie schön angenehm sind. Die Anspannung bringt mich immer wieder aus der Grundstellung, immer wieder wird meine Haltung korrigiert: Rücken gerade, Schultern nach hinten, Arme im rechten Winkel und anspannen. Schmerzhaft ist es jedoch nicht. Es ist anstrengend. Nur an einer Stelle wird es langsam unangenehm, am Beckenboden. Dafür sorgen die beiden Elektroden auf den Oberschenkeln. »Das kommt bei Männern öfter vor, Frauen kennen sich da besser aus«, werde ich beruhigt und die Spannung wird ein wenig runtergedreht.
Ungefähr die Hälfte des 20-minütigen Trainingsprogramms ist vorbei, die ersten Schweißtropfen laufen über die Stirn, die Eingewöhnungsphase an den Strom habe ich gemeistert. Jetzt ist es an der Zeit, ein paar »echte« Übungen zu machen. Als erstes auf dem Plan: Bankdrücken, im Stehen, ohne eine Bank. Als der Impuls in den Muskeln ankommt, soll ich meine Arme langsam nach vorne strecken und dann wieder zurück. Die Muskeln fühlen sich an, als würde man gerade seinen 30. Liegestütz am Stück machen. Hobbysportler sagen dazu »die Muskeln brennen«. Und gleich noch einmal. Als Nächstes sind die Beine dran: Kniebeugen. Und auch bei diesen hat man das Gefühl, dass man einiges an Gewicht zugelegt hat. »Training für Faule«, wie einige glauben, ist EMS sicherlich nicht.
In der Regel lassen sich alle möglichen Übungen mit einem EMS-Gerät verbinden. Kraft, Koordination, Ausdauer – die Möglichkeiten sowie die Einsatzgebiete sind unterschiedlich. »Es sind grundsätzlich alle Übungen mit EMS möglich«, bestätigt Rometsch. Nur auf ein Laufband lasse er Menschen eigentlich ungerne. »Wenn sie laufen wollen, sollen sie das an der frischen Luft tun.«
A propos Luft, die habe ich noch, nur die Kräfte schwinden so langsam. Sehnsüchtig beobachte ich den Countdown auf dem Display. Nur noch ein bisschen, dann habe ich es geschafft. Was mich verwundert: Obwohl das Training relativ anstrengend ist, hatte ich erwartet, dass ich mehr schwitzen würde. Naja, vielleicht wurde ich als Anfänger ja noch geschont.
Als die 20 Minuten rum sind und der Strom weg ist, kann ich raus aus dem Anzug. Beim Umziehen merke ich, dass es in den Brustmuskeln schon ein wenig zieht. Tatsächlich ist auch das EMS Training kein Garant gegen Muskelkater. Aber aufgrund der kurzen und doch so intensiven Belastung soll er nicht so schlimm ausfallen. »Klassisches Krafttraining in dieser Intensität und du würdest dich die nächsten drei Tage nicht bewegen können«, sagt Rometsch. Ich glaube ihm das mal und bin insgeheim froh, dass es nur in der Brust zieht.
Alles in einem ist das EMS Training sicherlich eine gute Gelegenheit für Menschen mit Zeitproblemen, den Weg zum Sport zu finden. Denn 20 Minuten Trainingszeit lassen sich auch im stressigsten Alltag unterbringen. Das ist auch das große Plus dieser Methode. Für ältere Menschen ist es u.a. auch deswegen interessant, weil die Gelenkbelastung relativ gering ist. Für Sportler ist das EMS eine gute Erweiterung zu ihrem üblichen Training. Man kann Defizite gezielt ausgleichen und bei der Stärkung einzelner Muskelpartien relativ schnell Erfolge erzielen. Bei Kosten von bis zu 30 Euro pro Trainingseinheit muss sich aber jeder selber überlegen, ob es ihm das wert ist.