Dienstag, 14. Oktober 2014

Frank Schätzing: Spannung im Nahen Osten

Frank Schätzing. Foto: Paul Schmitz
Auch wenn der Krieg gegen den IS momentan die Nachrichten beherrscht, vor Kurzem war es noch der Nahe Osten, wo sich die Ereignisse tagtäglich überschlagen haben. Es ist seit Jahren und bleibt wohl auch auf Jahre die explosivste Region der Welt. Und genau dort spielt der neue Roman von Frank Schätzing »Breaking News«, mit dem er jetzt auf große Live-Tournee geht. Unter anderem gastiert er in Stuttgart und Reutlingen. Ich sprach vor ein paar Wochen mit dem Autor über die Krise zwischen Israel und Palästinensern, warum Ariel Sharon der perfekte Darth Vader ist und welche Verantwortung wir alle tragen.

Herr Schätzing, mit welchem Gefühl schauen Sie zurzeit die Nachrichten aus dem Nahen Osten?
Mit einem Gefühl der Bestätigung. Leider. Weil die Eskalation vorherzusehen war und weitere folgen werden, solange man sich nicht den Ursachen widmet. Jahrzehnte fehlgeleiteter Entwicklung lassen sich nicht rückgängig machen, aber um die Dinge zum Besseren zu wenden, müssen beide Seiten akzeptieren, dass es überhaupt eine Fehlentwicklung gab.

Im Zusammenhang mit der Krise in Nahost werden immer mehr Israel-kritische Stimmen laut. Können Sie das nachvollziehen?
Das israelische Vorgehen fordert zivile Opfer, allerdings kann man Netanjahu nicht vorwerfen, sein Land gegen Raketenangriffe eines Nachbarlandes zu verteidigen. Vorwerfen muss man ihm, dass er praktisch nichts für den Frieden unternimmt. Damit nimmt seine Administration künftige Opfer mit Ansage in Kauf. Israel deswegen pauschal zu kritisieren, ist idiotisch. Ebenso, als wolle man Deutschland als Ganzes für seine faschistischen Minderheiten an den Pranger stellen oder die komplette USA mit ihren jeweiligen Präsidenten gleichsetzen. Jede undifferenzierte Kritik an einem Land, einem Volk, mündet in Rassismus, insofern ist Israel-Kritik ein gefährlicher Begriff. Man muss sich um Differenzierung bemühen. Ohne weiteres darf man konstatieren, dass die Regierung Netanjahu und Israels radikal-religiöse Rechte dem Land massiv schaden. Umgekehrt muss man die Hamas aufs Schärfste verurteilen, die zivile Opfer unter der eigenen Bevölkerung geradezu provoziert, indem sie ihre Raketenbasen in Wohnviertel verlegt. Das ist an zynischem Kalkül kaum zu toppen. Aber auch die Hamas steht nicht stellvertretend für alle Palästinenser. Fakt ist, Krieg an sich ist ein Verbrechen. Also begeht jede kriegsführende Partei unweigerlich Verbrechen.

Ihr aktueller Roman »Breaking News« spielt hauptsächlich in dieser Krisenregion. Sie haben viel dafür recherchiert, sind auch tief in die historischen Hintergründe eingetaucht. Wer trägt Ihrer Meinung nach die Hauptschuld an dem Konflikt?
Wenn Sie vor Ort sind, erledigt sich die Schuldfrage schnell. Es gibt nur Betroffene. Die Antworten finden sich in der Geschichte, und auch dort werden Sie keinen Erstschuldigen ausfindig machen können. Heute lädt im Einzelfall mal der, mal der mehr Schuld auf sich. Insbesondere junge Menschen sind Geiseln der Vergangenheit. Niemand im Nahen Osten hat darum gebeten, in einen solchen Schlamassel hineingeboren zu werden. Die Alten haben ihre Triumphe gefeiert und den Jungen einen Dauerkonflikt hinterlassen, den zu beenden andere Leute erfordert als Benjamin Netanjahu und Mahmud Abbas.

Haben Sie auf Ihren Reisen in Israel auch diesen gegenseitigen Hass zwischen Israelis und Palästinensern gespürt, der über viele Medien in den Westen getragen wird? Oder ist auch die Welt in Israel wie so oft nicht nur schwarz und weiß?
Ich habe eher Misstrauen gespürt. Die Radikalen beider Seiten versuchen den Hass zu schüren, klar, aber sie sind in der Minderheit. Das Problem ist, dass man einander nicht mehr traut. Spätestens seit Oslo, als ein Friedensplan ausgehandelt wurde, dessen Umsetzung beide Seiten unterlaufen haben, fürchtet man im Nahen Osten Vereinbarungen, die sich als Bumerang erweisen könnten. Ungeachtet dessen sind weit mehr Israelis und Palästinenser auf privater Ebene befreundet, als man sich das hier so vorstellt. Es gibt jede Menge Kooperativen, Geschäftskontakte ... mein Eindruck war, dass man sich in der Mentalität nicht sonderlich unterscheidet. Israelis und Araber könnten vom Naturell her prima miteinander auskommen.

Eine der wichtigsten Figuren in Ihrem Buch ist Ariel Sharon. Was war Ihr erster Gedanke, als Sie von seinem Tod in diesem Jahr erfuhren?
Dass ein guter Bekannter gestorben ist. Schräg, was? Aber sehen Sie, das ist die eigenartige Nebenwirkung, wenn man sich zwei Jahre lang so intensiv mit jemandem beschäftigt, alles über ihn liest, Menschen trifft, die ihn gekannt haben, Filmaufnahmen sieht, ins Private, in die früheste Kindheit vordringt. Während des Schreibens wunderte ich mich immer wieder, dass er das Koma überhaupt so lange überlebt hatte. Dann, wenige Wochen vor Veröffentlichung, dachte ich: Komm, Arik. Jetzt nicht schlapp machen. Die paar Wochen schaffst du auch noch. Da war so ein Gefühl der Vertrautheit. Als wäre man einen langen Weg zusammen gegangen.

Ariel Sharon hatte schon viele Rollen in seinem Leben bekleidet. Die eines Romanhelden war bis zu Ihrem Buch noch nicht dabei. Was hat Sie so sehr an dieser Person fasziniert?
Ihre Ambivalenz. Mich reizen kontroverse Charaktere, bei denen die Grenzen zwischen gut und böse verwischen. Scharon hat die Probleme der Region maßgeblich befördert, doch am Ende galt er als Hoffnungsträger. Jemand wie ich, der das Instrumentarium des Thrillers bedient, sucht im Grunde immer nach seinem Darth Vader, und Scharon ist dafür eine wahrhaft schillernde Besetzung.

Für die Einen ist Sharon ein Held, für andere ein rücksichtsloser Hardliner. Was ist er für Sie?
Beides und nichts davon. Ein Mensch ist mehr als die Summe seiner Beurteilungen. Scharon hat im nahen Osten einen gigantischen Fußabdruck hinterlassen. Viel Porzellan zerschlagen, aber auch große Anstrengungen zur Deeskalation unternommen. Wir vergessen oft, dass ausgerechnet er angesichts grauenvoller terroristischer Anschläge in Israel während der zweiten Intifada lange auf Zurückhaltung setzte. Angesichts solcher Blutbäder wie vor dem Dolphinarium in Tel Aviv nicht sofort Nablus und Ramallah auszuradieren, grenzte schon an übermenschliche Selbstbeherrschung. Wir vergessen auch, dass Yitzchak Rabin, wahrhaft eine Lichtgestalt im Friedensprozess, noch während der ersten Intifada als extremer Hardliner auftrat. In einer Region wie dem Nahen Osten, mit allen diesen Problem, schließen sich Lebensläufe ohne Brüche aus. Am Ende zählt nur, was man getan und was man unterlassen hat.

Als Deutscher muss man es sich heute in der Öffentlichkeit noch immer lieber ein Mal zu viel überlegen, ob man etwas Kritisches Richtung Israel sagt. Gab es im Vorfeld Bedenken von außen, ob ein Thriller, der im Nahen Osten spielt, auch tatsächlich so ein gute Idee ist?
Hätte es sie gegeben, hätten sie mich nicht interessiert. Wenn mir einer sagt, mach es nicht, mache ich es erst recht. Aber da kam nichts. Weil Breaking News nie als Vehikel für Israel-Kritik oder Araber-Schelte gedacht war, sondern zuallererst als unterhaltsame, rasante Achterbahnfahrt durch die explosivste Region der Welt. Zweitens als Blick von oben. Aus der Astronautenperspektive. Auf den Status quo, auf die Geschichte, ohne zu werten. Was die deutsche Position betrifft: Gäbe es eine Kollektivschuld über Generationen hinweg, müssten wir verstummen. Aber es gibt kein Tätervolk, nur Tätergenerationen. Die nach dem Krieg Geborenen tragen keine Schuld an den Nazi-Gräueln, Schuld ist nicht erblich. Dafür aber etwas anderes: Verantwortung! Nämlich die Verantwortung, alles Menschenmögliche zu tun, damit sich eine derartige Tragödie, ein solches Verbrechen, nie wiederholt. Diese Verantwortung haben wir geerbt und vererben sie weiter. Niemand kann sich davon freisprechen. Schuld macht stumm. Verantwortung erfordert, dass man sich äußert. Sich als gestaltende Kraft begreift.

Ganz simpel gefragt: Warum Nahost? Auf der Welt gibt es genügend Krisenherde.
Stimmt. Ich bin aber nicht der Krisenonkel. Keiner, dessen Konzept es wäre, den Finger in möglichst viele Wunden zu legen. Zuallererst interessieren mich Ideen, die gute Storys versprechen. Ich habe nicht den Ehrgeiz, als nächstes über die Ukraine zu schreiben. Genau genommen begann alles vor drei Jahren am Frühstückstisch, mit einer Diskussion über den Konflikt da unten. Ich sagte: Der letzte in Israel, dem ich eine langfristige Lösung zugetraut hätte, wäre Ariel Scharon gewesen, ausgerechnet Scharon – und dachte im selben Moment: Das haben die Ultraradikalen verhindert. Ich fand das als Verschwörungsidee klasse, es versprach einen packenden Politthriller mit aktuellen Bezügen.

Welche Gefühle möchten Sie beim Leser mit »Breaking News« auslösen? Denn letztendlich ist das Buch doch ein Thriller, der von seiner Spannung und Unterhaltung lebt und dabei doch den ernsten historischen Hintergrund nicht außer Acht lässt.

Treffend beschrieben. Genau das ist es. Ich verfolge beim Schreiben keine Absichten. Welche Gefühle ich damit auslöse, müssen Sie die Leser fragen.


>> Frank Schätzing ist am 3. November in der Stadthalle Reutlingen und am 8. November in der Liederhalle Stuttgart zu Gast<<

Mittwoch, 7. Mai 2014

Whisky, Wandern, Wissenswertes

Es gibt sie noch, die Geheimnisse und Überraschungen, die die Region zu bieten hat. Einige davon präsentiert die Tübingerin Angela V. Weis. Als Schwäbische Whisky-Botschafterin nimmt sie den ganzen Sommer über Interessierte mit auf den »Whisky-Walk« und verrät gemeinsam mit drei regionalen Brennmeistern allerhand Wissenswertes zum »flüssigen Gold«. Auch ich habe mich dem Tross angeschlossen und kam mit vielen neuen Erkenntnissen zurück.


Schottland? Ja, klar! Irland? Natürlich! USA? Selbstverständlich! Aber auch die Schwäbische Alb? Ja, auch sie gehört in diese Reihe, mehr als mancher denkt. Der gemeinsame Nenner mag erstaunen: Whisky. Noch erstaunlicher wird es, wenn man sich die Tatsache vor Augen führt, dass praktisch bei uns vor der Haustür die »Whisky-Hauptstadt Deutschlands« beheimatet ist. Nirgendwo sonst außerhalb Schottlands gibt es drei Whisky-Brennereien an einem Ort außer in Owen, gesprochen »Auen«. Grund genug, auf eine ganz besondere Entdeckungsreise zu gehen.

Erfunden vom Tübinger Hans-Peter Schwarz geht der Whisky Walk 2014 in seine dritte Saison. Und das Interesse ist groß. Die meisten Termine sind komplett ausgebucht, Besucher kommen aus dem ganzen Bundesland, um das Biosphärengebiet Schwäbische Alb zu erkunden und den Schwäbischen Whisky für sich zu entdecken. So auch an diesem Samstagmittag. Treffpunkt ist der Bahnhof von Owen/Teck. Dort versammelt sich eine bunte Truppe von 25 interessierten Whisky-Kennern und denen, die es noch werden wollen. Angela V. Weis, Schwäbische Whisky-Botschafterin, zertifizierte Edelbrand-Sommelière und unsere Wander-Leiterin, verteilt an alle die »offizielle Schwäbischer-Whisky-Walk-Ausrüstung«, bestehend aus einer Tasche, einer Flasche Wasser, einem Schreibblock, Stift und – dem Wichtigsten – einem Whisky-Glas. Denn auf dieser Wanderung werden wir nicht nur viel über den Whisky erfahren, wir werden auch etliche davon probieren. Doch der Reihe nach...


Die erste Station ist nur 200 Meter von unserem Treffpunkt entfernt. Wer sich hier im Vorfeld Sorgen gemacht hat, er müsse stundenlang wandern – schließlich ist der Whisky-Walk laut Plan für circa knapp sechs Stunden veranschlagt – wird schnell erleichtert sein. Immanuel Gruel ist unser erster Gastgeber und führt uns sogleich in sein Reich. Er zeigt uns seine Brennerei, erklärt kurz, wie der Whisky gebrannt wird, beantwortet gerne die Fragen der interessierten Besucher, führt uns in sein Lager, wo den Teilnehmern sofort süßlicher Whisky-Geruch in die Nase steigt, und bittet uns letztendlich in seine heimelige Gaststube. Denn jetzt kommt das, warum die meisten hier sind: die Verkostung. Die Besucher nippen, riechen, kosten und diskutieren ihre Erfahrungen. Riecht es mehr nach Mandel oder nach Frucht? Zwetschge oder Banane? Am Tisch kommt es zu geselligen Gesprächen, die Stimmung wirkt sogleich gelöster. Und das wird sich im weiteren Verlauf fortsetzen. »Drei Whiskys in 20 Minuten – ihr seid nicht schlecht«, sagt mir der Gastgeber und ich denke nur daran, wie es mir nach dem neunten wohl gehen wird und wie ich dann noch heimkommen soll.



Jetzt schon vollgestopft mit Wissen und spannenden Eindrücken geht der Whisky-Walk weiter. Angela V. Weis führt uns an Streuobstwiesen und Obstplantagen vorbei, an Blumen- und Getreidefeldern. Garniert mit altertümlichen Sagen, unterhaltsamen Anekdoten und jeder Menge Interessantem zur Landschaft hält sie die Truppe bei Laune. So geht die kleine Wanderung entlang der »Blauen Mauer«, wie die Schwäbische Alb gerne gennant wird, zu den nächsten beiden Stationen. Zur Bellerhof-Brennerei von Thomas und Susanne Dannemann und – nur einen Steinwurf entfernt – zum Berghof Rabel. Auch dort wird verkostet und sich ausgetauscht, und natürlich jede Menge über Whisky erfahren. Was genau, das sollte am besten jeder selbst herausfinden. Sonst wäre schließlich die ganze Spannung dieser einmaligen Wanderung dahin. Nur eines kann ich hier verraten: Alle der neun probierten Whiskys waren außergewöhnlich – sogar für einen Laien wie mich.

Alle Informationen unter www.schwaebischer-whisky.com


Mittwoch, 26. Februar 2014

Die Seele einer Großstadt


Die Kunstformen Theater und HipHop, Graffiti und Tanz vereinen sich zu einem fesselnden Gesamtkonstrukt und lassen tief in die Seelen einer Großstadt blicken. Die Stuttgarter Regisseurin Christine Bossert inszeniert mit »Radio Noir« ein Stück, das mit seiner Thematik auf der einen Seite verstört, auf der anderen es aber schafft, Grenzen und Barrieren niederzureißen und ganz nebenbei geheime anarchistische Wünsche zu befeuern.

Sie ist verletzt. Sie ist wütend. Und sie lässt es raus. Sie ruft zur Gewalt und Anarchie auf, zu Sex und Selbstmord. Sie ist die selbstverstandene Stimme der Welt. Einer Welt, die sie zerstört sehen will. Sie ist Parthenope, die Night-Talkerin. Und wie ihre Namensvetterin aus der griechischen Mythologie will sie den Tod bringen... Albert Ostermaiers Theaterwerk »Radio Noir« ist kein Stoff, aus dem die Träume sind, höchstens Alpträume. Und doch wird für die Stuttgarter Regisseurin Christine Bossert damit ein Traum wahr. Im März bringt sie mit »Radio Noir« einen ihrer großen Träume auf die Bühne.
Im Jahr 1998 war die Uraufführung von Ostermaiers Bühnenstück und »seitdem liegt es auch bei mir auf dem Schreibtisch«, sagt die Regisseurin. Es ist einer dieser Texte, die man nicht vergisst, die sich zerstörerisch und unaufhaltsam ihren Weg ins Unterbewusstsein bahnen. Und irgendwann ausbrechen möchten. In Stuttgart bricht Parthenope, die Sirene der Nacht, am 20. März aus. »Es ist auf keinen Fall klassisches Theater, wo man sich hinsetzen und berieseln lassen kann«, sagt Bossert, die als Regisseurin und Schauspielerin an zahlreichen Theaterhäusern zwischen Berlin und Stuttgart gearbeitet hat. Vielmehr taucht man ein in eine urbane Untergrundwelt, irgendwo zwischen Schauder und Faszination. Geschrieben als ein Monolog ist »Radio Noir« bei seiner Premiere in Stuttgart aber viel mehr als das. Bossert vereint in dem Stück unterschiedlichste Kunstformen. Auf ihrem Ritt durch die Nacht wird Parthenope, dargestellt von Christine Binder, von den »Straßensoul«-Klängen des Hip-Hop- und Soul-Sängers Amaris, den Graffitis und Rauminstallationen des Illustrators und Künstlers Patrick Oltean und den Tänzern der New York City Dance School, die ihre Körper lasziv zu den Tanzchoreografien von Monika Kebieche-Loreth bewegen, begleitet. Eine Bühne gibt es keine. Oder besser: ganz viele.
Als Austragungsort hat sich die Regisseurin für ihre außergewöhnliche Inszenierung einen ebenso außergewöhnlichen Ort ausgesucht. Der Club Zollamt unweit des Cannstatter Wasens dient als Kulisse für diesen »mentalen Roadtrip durch die Seelen einer Großstadt«. Dabei wird im gesamten Club gespielt. Der Zuschauer folgt den Protagonisten von Raum zu Raum, von Szene zu Szene, ist mittendrin im Geschehen. Und doch gleichzeitig in seiner Rolle als Beobachter geschützt. »Auch wenn es nicht wie ein typisches Theater klingt«, sagt Bossert, bleibe es Theater. »Niemand wird aufgefordert, mitzumachen.« Diese Grenze will sie wahren.
Andere Grenzen aufzubrechen, ist der Regisseurin viel wichtiger. »Mich langweilt die Spartentrennung an herkömmlichen Theaterhäusern«, sagt sie. Musik, Schauspiel, Tanz – »für mich ist das alles eins«, sagt sie und outet sich als großer Anhänger von Cross­over-Inszenierungen. 
Mit ihrer Begeisterung, ihrer Zielstrebigkeit fiel es ihr auch nicht schwer, andere von ihrer Idee zu überzeugen. Mit der Schauspielerin Christine Binder hatte sie vor zwei Jahren das Stück erstmals probeweise im Café Galao gespielt. Schnell haben beide das gleiche Faible für diesen teils verstörenden Text entdeckt. Und auch die anderen waren schnell gefesselt. »Was, so was ist Theater?!«, lautete beispielsweise eine erstaunte Reaktion des Sängers Amaris. So wie ihm soll es auch dem Publikum ergehen. Wer hat sich in seinem Frust, in seinem Kummer, in seiner Wut noch nicht dabei erwischt, wie er daran denkt, alles abzubrechen und hinter sich zu lassen? Darin sind sich Jung und Alt viel ähnlicher, als mancher denkt. »Meine Idealvorstellung ist, wenn jemand mit seinen hippen, tätowierten Freunden bei der Aufführung auf klassisches Theaterpublikum trifft und ins Gespräch kommt«, sagt die Regisseurin. Damit würde ein weiterer Traum in Erfüllung gehen.

www.facebook.com/radionoirstuttgart