Mittwoch, 26. Februar 2014

Die Seele einer Großstadt


Die Kunstformen Theater und HipHop, Graffiti und Tanz vereinen sich zu einem fesselnden Gesamtkonstrukt und lassen tief in die Seelen einer Großstadt blicken. Die Stuttgarter Regisseurin Christine Bossert inszeniert mit »Radio Noir« ein Stück, das mit seiner Thematik auf der einen Seite verstört, auf der anderen es aber schafft, Grenzen und Barrieren niederzureißen und ganz nebenbei geheime anarchistische Wünsche zu befeuern.

Sie ist verletzt. Sie ist wütend. Und sie lässt es raus. Sie ruft zur Gewalt und Anarchie auf, zu Sex und Selbstmord. Sie ist die selbstverstandene Stimme der Welt. Einer Welt, die sie zerstört sehen will. Sie ist Parthenope, die Night-Talkerin. Und wie ihre Namensvetterin aus der griechischen Mythologie will sie den Tod bringen... Albert Ostermaiers Theaterwerk »Radio Noir« ist kein Stoff, aus dem die Träume sind, höchstens Alpträume. Und doch wird für die Stuttgarter Regisseurin Christine Bossert damit ein Traum wahr. Im März bringt sie mit »Radio Noir« einen ihrer großen Träume auf die Bühne.
Im Jahr 1998 war die Uraufführung von Ostermaiers Bühnenstück und »seitdem liegt es auch bei mir auf dem Schreibtisch«, sagt die Regisseurin. Es ist einer dieser Texte, die man nicht vergisst, die sich zerstörerisch und unaufhaltsam ihren Weg ins Unterbewusstsein bahnen. Und irgendwann ausbrechen möchten. In Stuttgart bricht Parthenope, die Sirene der Nacht, am 20. März aus. »Es ist auf keinen Fall klassisches Theater, wo man sich hinsetzen und berieseln lassen kann«, sagt Bossert, die als Regisseurin und Schauspielerin an zahlreichen Theaterhäusern zwischen Berlin und Stuttgart gearbeitet hat. Vielmehr taucht man ein in eine urbane Untergrundwelt, irgendwo zwischen Schauder und Faszination. Geschrieben als ein Monolog ist »Radio Noir« bei seiner Premiere in Stuttgart aber viel mehr als das. Bossert vereint in dem Stück unterschiedlichste Kunstformen. Auf ihrem Ritt durch die Nacht wird Parthenope, dargestellt von Christine Binder, von den »Straßensoul«-Klängen des Hip-Hop- und Soul-Sängers Amaris, den Graffitis und Rauminstallationen des Illustrators und Künstlers Patrick Oltean und den Tänzern der New York City Dance School, die ihre Körper lasziv zu den Tanzchoreografien von Monika Kebieche-Loreth bewegen, begleitet. Eine Bühne gibt es keine. Oder besser: ganz viele.
Als Austragungsort hat sich die Regisseurin für ihre außergewöhnliche Inszenierung einen ebenso außergewöhnlichen Ort ausgesucht. Der Club Zollamt unweit des Cannstatter Wasens dient als Kulisse für diesen »mentalen Roadtrip durch die Seelen einer Großstadt«. Dabei wird im gesamten Club gespielt. Der Zuschauer folgt den Protagonisten von Raum zu Raum, von Szene zu Szene, ist mittendrin im Geschehen. Und doch gleichzeitig in seiner Rolle als Beobachter geschützt. »Auch wenn es nicht wie ein typisches Theater klingt«, sagt Bossert, bleibe es Theater. »Niemand wird aufgefordert, mitzumachen.« Diese Grenze will sie wahren.
Andere Grenzen aufzubrechen, ist der Regisseurin viel wichtiger. »Mich langweilt die Spartentrennung an herkömmlichen Theaterhäusern«, sagt sie. Musik, Schauspiel, Tanz – »für mich ist das alles eins«, sagt sie und outet sich als großer Anhänger von Cross­over-Inszenierungen. 
Mit ihrer Begeisterung, ihrer Zielstrebigkeit fiel es ihr auch nicht schwer, andere von ihrer Idee zu überzeugen. Mit der Schauspielerin Christine Binder hatte sie vor zwei Jahren das Stück erstmals probeweise im Café Galao gespielt. Schnell haben beide das gleiche Faible für diesen teils verstörenden Text entdeckt. Und auch die anderen waren schnell gefesselt. »Was, so was ist Theater?!«, lautete beispielsweise eine erstaunte Reaktion des Sängers Amaris. So wie ihm soll es auch dem Publikum ergehen. Wer hat sich in seinem Frust, in seinem Kummer, in seiner Wut noch nicht dabei erwischt, wie er daran denkt, alles abzubrechen und hinter sich zu lassen? Darin sind sich Jung und Alt viel ähnlicher, als mancher denkt. »Meine Idealvorstellung ist, wenn jemand mit seinen hippen, tätowierten Freunden bei der Aufführung auf klassisches Theaterpublikum trifft und ins Gespräch kommt«, sagt die Regisseurin. Damit würde ein weiterer Traum in Erfüllung gehen.

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