Dienstag, 26. März 2013

Was ist eigentlich "Functional Fitness"???

Die Fitness-Welt treibt immer neue Blüten hervor. Seit einigen Jahren geistert der Begriff »Functional Fitness« durch die Studios. Doch was sich genau dahinter verbirgt, wissen viele nicht. Um das herauszufinden, habe ich mich in ein Trainingscenter begeben und habe einige der typischen Übungen am eigenen Körper ausprobieren dürfen – nicht ohne Folgen...

Hier zieht es, dort brennt es, jede Bewegung tut weh. Was ist mit mir am Vortag bloß geschehen? Autounfall? Zwanzig Mal hintereinander über die Bundeswehr-Hindernis-Bahn? Nein, die Antwort ist viel harmloser – jedenfalls auf den ersten Blick: »Functional Fitness«. Dabei ist es ein relativ schwammiger Begriff. Es gibt keine feste Definition darüber, was zu »Functional Fitness« gehört, und jeder Trainer hat seine eigenen Methoden. Ich bin zu Besuch im Stuttgarter Sportcodex Trainigscenter, deren Macher Zied Lakhdar, Torsten Schmeckenbecher und Robin Müller-Schober, allesamt langjährige Fitness- und Personaltrainer, bieten unter anderem das Sommerprogramm »Sport im Park« an. Letzterer ist es, der mich in das Geheimnis des »Functional Fitness« einführen darf.
»Wir verfolgen mit Functional Fitness folgenden Ansatz«, beginnt er. »Sport an sich und der menschliche Alltag haben alle mit Bewegung zu tun. Und es gibt keine Alltagssituationen, in denen man beispielsweise auf irgend­etwas sitzt und etwas zu sich herzieht oder wegdrückt.« Diese Art von Übungen kennt man von Fitnessstudios. Beim Functional Fitness verfolgt man das Ziel, nicht einzelne Muskelpartien zu fördern, sondern den kompletten Körper zu stabilisieren. »Die richtigen Muskeln müssen im richtigen Moment greifen.« Es geht um Stabilisation, Beweglichkeit und Koordination. So sind auch die Trainingseinheiten systematisch aufgebaut. Los geht es mit dem Aufwärmen.
»Wir messen dem Warm-up eine sehr hohe Wertigkeit bei«, sagt Müller-Schober. Was das bedeutet, darf ich gleich am eigenen Körper erfahren. Ich bekomme eine Rolle aus festem Schaumstoff, nehme auf dem Boden Platz, den Unterschenkel auf die Rolle gelegt. »Und jetzt rollst du mal deinen Unter, dann den Oberschenkel darauf hin und zurück«, kommt die erste Anweisung. Das erste Gefühl ist fremd, und doch irgendwie vertraut. Denn damit passiert nichts anderes mit dem Muskel als bei einer Massage: Er wird »glattgebügelt«. Und tatsächlich spüre ich eine leichte Un­ebenheit in meiner Muskulatur, die nach einigen Malen verschwindet. Das wiederhole ich anschließend mit dem anderen Bein und liege schließlich mit dem Rücken auf der Rolle und rolle mich hin und zurück – eine erstaunlich simple und einfache Art und Weise, sich selber zu massieren. So, die Muskeln müssen jetzt langsam glatt genug sein, Zeit fürs Sportliche.
Koordination heißt dann auch das erste Übungsziel. Vor mir liegt die sogenannte Koordinationsleiter. »Schon mal gesehen?« – »Klar.« Aber nur im Fernsehen oder vom Spielfeldrand beim VfB-Training. Die erste Übung bekomme ich auch sogleich vorgemacht. Drei Schritte in jedes Feld und dann von Feld zu Feld immer weiter. »Sieht leicht aus«, denke ich – noch. Dann darf ich ran. Eins, zwei, drei, weiter. Ein, zwei, drei, weiter. Eins, zwei, drei, vier… Halt! Ist doch nicht so leicht, wie es aussieht. Ohne Konzentration geht da nichts.
In Zirkelform warten andere Übungen darauf, erforscht zu werden. Dabei geht es immer auf Zeit: 40 Sekunden Power, 20 Sekunden Pause. Bei einer dieser Übungen stehen schwere Medizinbälle im Mittelpunkt. Felix Magath lässt grüßen. Diese werfe ich mit voller Kraft gegen die Wand und fange sie wieder auf. Immer und immer wieder. Was bei den ersten drei Mal noch nach großem Spaß aussieht, entpuppt sich schnell als knallhartes Training. Und das nicht nur für die Arme. Der Körper soll dabei möglichst stabil in leichter Hockstellung stehen. Alle Muskeln sind angespannt, um dem zurückprallenden Ball genug Widerstand zu bieten. Die nächsten 40 Sekunden sind rum, Zeit die Station zu wechseln.
Es geht weiter zum kraftraubenden Rope-Workout. Dabei ragen zwei Seile aus der Wand, ich bekomme jeweils ein Ende in die Hände und darf sie jetzt in Schwung bringen. Klingt amüsant, sieht lustig aus, ist mit der Zeit aber die Hölle. »Stärker! Höher!«, höre ich die Motivationsrufe. Würde ich ja gerne. Die Arme wollen aber nicht so, wie ich will.
Auch wenn sich diese Form von Fitness wohl eher an die Menschen richtet, zu deren Sportbetätigungen mehr gehört, als mit der Fernbedienung zwischen Eurosport und Sport1 zu zappen, so ist Functional Fitness doch auch für Anfänger eine wunderbare Möglichkeit, um in ein sportliches Leben einzusteigen. Denn es sind genau diese Anfänger, die bei dieser Art von Training sehr schnell sehr viel mitnehmen und auch in relativ kurzer Zeit große Fortschritte erzielen. »Das Training ist für Anfänger wunderbar geeignet, bedarf aber einer intensiven Betreuung und Beobachtung.«
Diese habe ich und darf auch gleich eines der Lieblingsgeräte des Fitnessprofis kennenlernen: TRX. Von der Decke hängen zwei Seile mit Schlaufen an deren Enden und im Großen und Ganzen war‘s das. Es ist sicherlich eines der simpelsten Sportgeräte, die ich bislang gesehen habe. Und genau deswegen bin ich schwer beeindruckt. Man braucht keine Gewichte, keine komplizierten Programme eingeben. Alles, was man braucht, ist das Gewicht des eigenen Körpers. Mit den Händen in den Schlingen lasse ich mich hängen. »So, jetzt Körper geradehalten, Beine nach vorne – je weiter, desto schwieriger –, und dann versuche dich mit den Armen hochzuziehen«, sagt Müller-Schober. Leichter gesagt als getan, spätestens jetzt verfluche ich die Weihnachtsgans. Und das ist nur eine von zahlreichen Übungen, die mit TRX möglich sind. Als ich einige weitere hinter mich bringe, bin ich danach ziemlich ausgepowert. Ich kann nicht sagen, ob es die Beine sind, die mehr Arbeit geleistet haben, die Arme, die Bauchmuskeln oder der Rücken. Ich spüre einfach alles, und weiß, dass ich spätestens morgen den Beweis dafür in Form von Muskelkater bekommen werde.
Mein Fazit nach der Probestunde: So stelle ich mir Training vor. Blicke ich zurück, kann ich nicht sagen, welchen Muskel ich am wenigsten benutzt habe. Und das in relativ kurzer Zeit. In der Regel dauert eine Trainingseinheit 60 Minuten. Diese Stunde reicht aber auch, um sowohl das Herz-Kreislauf-System als auch den Muskelaufbau sowie die Koordination des Körpers zu stärken. Mit Functional Fitness wird man nicht zum Muskelberg, so viel sollte jedem klar sein. Man wird aber athletischer, fitter, schlanker und stärker. »Ich behaupte, wenn man zehn Einheiten regelmäßig durchzieht, wird man den Unterschied merken, optisch und im eigenen Wohlbefinden«, verspricht mir Müller-Schober und freut sich wohl insgeheim darauf, mich bald weiterzuquälen. Ich aber »genieße«
erstmal den Muskelkater.

Freitag, 22. März 2013

Das Herz von Jenin


Es sind oft die kleinen Zufälle im Leben, die dieses nachhaltig verändern. Beim Tübinger Regisseur Marcus Vetter war es ein Anruf der Filmproduktionsfirma EIKON aus Berlin. Er wurde gefragt, ob er es sich vorstellen könne, einen Film gemeinsam mit einem israelischen Co-Regisseur im palästinensischen Flüchtlingslager Jenin zu drehen. Entstanden ist daraus ein Dokumentarfilm, der berührt, und eine Lebensaufgabe, der sich der 46-Jährige seit mittlerweile fünf Jahren aufopferungsvoll widmet.

»Ich bin zu dem Thema sprichwörtlich wie die Jungfrau zum Kinde gekommen«, erinnert sich Marcus Vetter, als er gefragt wird, wie man als deutscher Regisseur auf die Idee kommt, einen Dokumentarfilm in Westjordanland zu drehen. Die Produktionsfirma EIKON in Berlin hatte angefragt, ob er es sich vorstellen könne, mit dem israelischen Co-Regisseur Leon Geller einen Dokumentarfilm über einen Palästinenser zu drehen, der sich entschieden hat, die Organe seines von israelischen Soldaten getöteten Sohnes an israelische Kinder zu spenden und dadurch ihre Leben zu retten. »Diese Geschichte hat mich schwer beeindruckt«, sagt der mehrfach prämierte Regisseur.
Angekommen in Israel wurde der Tübinger schnell mit den Problemen im Nahen Osten konfrontiert. Aussagen wie »Ein Film in Jenin – viel zu gefährlich!« oder »Man kann doch keinen Film drehen über jemanden, der aus einer ‚Terroristenstadt‘ kommt«, waren der Tenor bei den israelischen Produktionsfirmen. »Also bin ich mit einem palästinensischen Team hin«, sagt Vetter.
Was er dort angetroffen hat, war alles andere als ein »Terroristennest«, als das Jenin weltweit gilt. Es war eine Stadt, in der es ein ganz unterschiedliches Meinungsspektrum gibt. »Natürlich gibt es die Freiheitskämpfer, die den Weg mit der Waffe wählen«, so der Regisseur. »Aber auch Menschen, die dem abgeschworen haben.« Einer dieser Menschen ist Ismael Khatib, der Hauptprotagonist von »Das Herz von Jenin«.
Sein 11-jähriger Sohn wird 2005 von israelischen Soldaten auf offener Straße erschossen, weil er mit seinen Freunden spielt und eine Holzwaffe in der Hand hat. Ein Pfleger vor Ort spricht den Vater des Jungen, Ismael Khatib, auf die Möglichkeit einer Organspende an. Ismael Khatib und seine Frau Abla stimmen zu, auch als bekannt wird, dass jüdisch-orthodoxe Familien als Empfänger in Betracht kommen. Dadurch rettet er sechs israelischen Kindern das Leben. Zwei Jahre später verspürt Ismael Khatib den Wunsch, die Kinder, deren Leben sein getöteter Sohn gerettet hat, kennenzulernen. Marcus Vetter begleitet ihn bei dieser Reise mit der Kamera und hält zugleich Momente fest, die auf der einen Seite zwar zeigen, wie schwierig die Situation im Nahen Osten ist. Auf der anderen aber, was für tolle Menschen es in Palästina gibt. Dass längst nicht alle Terroristen sind und dass man mit »collective punishment«, mit Rache, mit der Demütigung an den Checkpoints nicht weiterkommt. »Ja«, sagt Vetter, »der Film kritisiert Israel.«
»Natürlich bin auch ich mit vielen Vorurteilen nach Jenin gekommen«, gibt der Tübinger zu. Man habe sich im Vorfeld sein Bild gemacht. »Und das wurde komplett widerlegt!« Wenn man sich »Das Herz von Jenin« anschaut, übrigens Gewinner des Deutschen Filmpreises 2010 als bester Dokumentarfilm, dann ist ein Protagonist netter als der andere. Es gibt einen beduinischen Vater, der lachend in die Kamera erzählt, dass sein Haus jederzeit zerstört werden kann. Es gibt den christlichen Araber, der auf eine so sympathische Art Ismael fragt, ob er die Organe seines Sohnes spenden möchte, dass es einem die Sprach verschlägt. Es gibt die Drusenfamilie, die in den nördlichen Hügeln nahe Libanon lebt und deren Tochter Samah das Herz Ahmeds in sich trägt. »Wenn man sich diese Menschen anschaut, diese Freundlichkeit sieht und selber miterlebt, dann weiß man, dass das nicht gespielt sein kann.«
Auch die anderen Menschen in Palästina haben den Europäer herzlich aufgenommen. Für Vetter kein Wunder. Denn nur so können diese Menschen ihre Geschichten erzählen und hoffen, dass sie gehört werden. »Es passieren einfach viele Ungerechtigkeiten dort«, sagt der 44-Jährige. »Wenn man niemandem davon erzählen kann, dann denkt man, niemand wisse davon.« Dann wäre das Leben kaum zu ertragen. Um den Menschen in Jenin neue Hoffnung zu geben, haben Ismael
Khatib und Marcus Vetter ein neues Projekt ins Leben gerufen – »Cinema Jenin«.
»Ismael und ich haben uns überlegt, dass wir das Engagement nicht mit dem Film ‚Das Herz von Jenin‘ zu Ende gehen lassen wollen«, sagt der Tübinger. Also haben sie beschlossen, das alte Kino in Jenin wieder aufzubauen. Alle 70 Kinos in Palästina wurden mit der ersten Intifada 1987, dem palästinensischen Aufstand gegen Israel, geschlossen. Das erste hat vor rund zehn Jahren in Ramallah wieder aufgemacht. Für Vetter geht es jetzt darum, in Jenin, »an einem Ort, von dem niemand denken würde, dass es dort überhaupt möglich wäre«, ein Kino aufzubauen. »Wir haben gezeigt, dass das Interesse da ist. Dass wir keine Angst haben. Und wir haben rund 300 Volontäre nach Jenin geholt«, sagt der Vater von zwei Kindern.
Inzwischen vergleicht der Tübinger seine Arbeit in Jenin mit der eines Streetworkers. In einem Land, wo sich Kinder gegen Panzer stellen, geht es darum, neue Visionen zu schaffen. »Wir wollen den Jugendlichen ihre Würde zurückgeben.« Kultur, Bühne, Film – all das ist für die meisten dort neu. Doch bietet es ungeahnte Möglichkeiten, sich emo­tional zu befreien. »Wenn die eigenen Eltern kommen und sehen, dass man selber auf der Bühne steht, was man selber geleistet hat, was man aufgebaut hat, welchen Film man gedreht hat, dann kommt der Stolz«, so Vetter. Und mit diesem Stolz der Eltern das Selbstbewusstsein bei den frustrierten Jugendlichen. Rund die Hälfte der Einwohner von Jenin ist 15 Jahre alt und jünger, die Arbeitslosigkeit beträgt ca. 80 Prozent. »Natürlich kommt das Selbstbewusstsein auch, wenn man sich vor einen Panzer stellt. Aber der andere hat die besseren Karten und kann über Leben und Tod entscheiden.«
Am 5. August des vergangenen Jahres eröffnete das Kino endlich seine Pforten. Seitdem geht es Schritt für Schritt voran, Rückschläge inklusive. Jüngst mussten alle Volontäre aus Jenin abgezogen werden. Der Grund: Juliano Mer-Khamis, Direktor des Freiheitstheaters in Jenin, wurde am 4. April in seinem Auto erschossen. Die Täter sind unbekannt. Vetter hat seine eigene Theorie, wer hinter dem Mord steckt: »Palästina hat aktuell die Chance, einen palästinensischen Staat zu bekommen. Und es gibt wohl jemanden, dem das ein Dorn im Auge ist. Also möchte er nach außen zeigen, dass Jenin gefährlich ist, dass in dem Lager jemand umgebracht wurde, der zwar sein Leben für die Palästinenser gegeben hat. Aber dennoch getötet wurde. Er wollte damit etwas zerstören!« Und fügt dann im traurigen Ton hinzu: »Im ersten Schritt ist es ihm gelungen: Wir mussten unsere Volontäre abziehen.«
Doch Vetters Einsatz für Jenin ist noch lange nicht am Ende. Zwanzig mal bestieg er in den vergangenen drei Jahren den Flieger Richtung Nahost. Viel Zeit, die er in Jenin und anderen Regionen verbracht hat. Den Aufbau des Kinos hat er dokumentarisch mit der Kamera begleitet. »Cinema Jenin« wird gerade geschnitten, soll im Herbst dieses Jahres in die Kinos kommen und ein Bild einer palästinensischen Gesellschaft in einer Kleinstadt unter fremder Besatzung, mit all ihren Schatten- aber auch schönen Seiten zeigen. »Es gibt Menschen, für die es sich einzusetzen lohnt«, sagt der Tübinger. »Dieses Projekt darf nicht sterben!«

Dienstag, 19. März 2013

Quo vadis, Friedrichsbau?

Noch begeistert die aktuelle Bühnenshow "Metropolitan" die Fans großer Varieté-Kunst. Doch es sind längst entscheidende Tage für das Stuttgarter Friedrichsbau Varieté angebrochen. Nach dem angekündigten Rückzug des Hauptsponsors, der landeseigenen L-Bank, steht das traditionsreiche Theater vor einer ungewissen Zukunft. Denn lediglich bis zum Ende des laufenden Jahres ist der Spielbetrieb gesichert. Was dann kommt, das wird sich schon in sehr naher Zukunft weisen müssen. Ein Sponsoren-Defizit von 750.000 Euro muss ausgeglichen werden. Sonst droht das Aus.

Es ging wie ein mittelgroßes Erdbeben durch die Stuttgarter Kulturlandschaft: Das Friedrichsbau Varieté steht vor dem Aus! Aus heutiger Sicht muss man sagen »stand«, zumindest vorerst. Denn zumindest bis zum Ende des Jahres muss die Landeshauptstadt nicht auf seine Akrobaten, Musiker, Zauberer und Artisten verzichten.
Dem allem liegt zugrunde, dass der Hauptsponsor des Friedrichsbaus, die L-Bank, sein Engagement beendet. Ursprünglich sollte das früher als zum 31. Dezember 2013 geschehen, nach Verhandlungen hat man sich auf einen Kompromiss zum Jahresende geeinigt. Doch jetzt beginnt erst die Arbeit für Geschäftsführerin Gabriele Frenzel und ihr Team. Denn es gilt, die fehlende Summe von 750.000 Euro auszugleichen. Genauso viel Geld würde nach dem Rückzug der L-Bank in der Kasse des Varietés fehlen. Und die Zeit drängt. Zwar ist bis Ende des Jahres der Betrieb gesichert. Die Kündigungsfrist für den Pachtvertrag ist aber der 30. Juni. Bis dahin sollte das Gros dieser Summe fix sein. »Wir machen zwar alles mit Bedacht«, sagt die Geschäftsführerin. »Aber wir müssen Gas geben.«
Bei der Sponsorensuche möchten die Verantwortlichen möglichst viele Unterstützer ins Boot holen. Die aktuelle Situation mit nur einem großen Geldgeber nennt die Pressesprecherin Mascha Hülsewig im Hinblick auf die Zukunft »fatal«. Die Last solle auf möglichst viele Schultern verteilt werden, damit man bei einem Ausstieg eines Sponsors flexibler reagieren kann.
Auf Hilfe seitens der Stadt kann das Friedrichsbau nicht hoffen. Als Wirtschaftsunternehmen ist das Varieté nicht förderungswürdig. Wenngleich Frenzel und ihr Team auf große Unterstützung seitens der Politik bauen kann. »Alle kulturpolitischen Sprecher im Gemeinderat unterstützen uns«, versichert Frenzel. Auch seitens der Künstler spüren die Friedrichsbau-Verantwortlichen eine hohe Welle der Solidarität. »Es ist eine der wichtigsten kulturellen Einrichtungen und gehört zu Stuttgart wie der Fernsehturm oder das Brezelkörble«, so Zauberküstler und Comedian Topas. Breite Unterstützung gibt es auch von anderen Kulturschaffenden der Stadt. Doch guter Rat ist teuer. Auch Peter Schwenkow, Besitzer des Varietés und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Entertainment AG hat bereits signalisiert, das Theater finanziell nicht zu bezuschussen.
Zusätzlich schwingt noch die GEMA-Problematik wie ein Damoklesschwert über der Zukunft des Friedrichsbaus. »Für 2013 bleibt erst mal alles so, wie es war«, sagt Frenzel. »Und ich bin auch zuversichtlich, dass es für 2014 auch klappt.« Sollte die GEMA ihre Forderung durchsetzen – das muss Frenzel einräumen –, »können wir gleich zumachen«.
Das große Problem des Stuttgarter Varietés im Vergleich zu anderen Städten ist, dass es im Friedrichsbau keine Gastronomie gibt. »Hätten wir ein Restaurant«, ist sich Frenzel sicher, »würde die Sachlage heute ganz anders aussehen.« So gesehen war das Konzept des Theaters seit seinen Anfängen 1993 nicht profitabel. Man kann von Glück reden, dass die L-Bank so lange bei der Stange geblieben ist. Die Not, von Unterstützern abhängig zu sein, ist jedoch kein Alleinstellungsmerkmal des Friedrichsbaus. »Ich kennen kein Theater, das nur mit seinen Einnahmen überlebt«, sagt die Pressesprecherin. Vor allem auf so hohem künstlerischem Niveau, das sich in Stuttgart über Jahre etabliert hat. Rund 80 Prozent der Kosten einer Eintrittskarte sind Produktionskosten wie beispielsweise Künstlergagen, Unterbringung und Bühnenbild. Und dann müssen am Friedrichsbau je nach Produktion und Saison bis zu 80 Mitarbeiter, 35 davon Festangestellte, bezahlt werden. Ein Theater muss unterstützt werden. Es wäre in einer Stadt wie Stuttgart, mit all seiner Wirtschaftskraft, wahrlich eine Schande, wenn ein Traditionshaus wie das Friedrichsbau Varieté wegen einer Summe von 750.000 Euro schließen müsste. In anderen Branchen lächelt man mitunter nur müde über solche Summen.

Montag, 18. März 2013

Torben Wendt und sein "Diorama"

Foto by Silke Jochum
»Diorama« ist ein Phänomen. Während das Electro Pop-Projekt des Reutlinger Torben Wendt in seiner Heimat durchaus bekannter sein könnte, feiert es in anderen Ländern der Welt große Erfolge. Ich sprach mit dem Gründer der Band über die Gründe seines Erfolgs im Ausland, das Typische an seinen deutschen Fans und natürlich über das neue Album der Gruppe »Even the Devil Doesn‘t Care«.

Gerade ist das neue Album von »Diorama«, »Even the Devil Doesn‘t Care«, erschienen. Auch wenn‘s den Teufel nicht interessiert, welche Themen beschäftigen dich als Musiker?
Der Ansatzpunkt für den Titel ist die englische Redewendung »devil may care«, was so viel wie »Nach mir die Sintflut« bedeutet. Das ist in meinen Augen die vorherrschende Lebensattitüde von uns allen, ob freiwillig oder nicht. Dieses Thema, verbunden mit der wachsenden Schnelllebigkeit, der wachsenden Beliebigkeit, der Gleichgültigkeit und sozialen Kälte, hat mich in den vergangenen Jahren sehr beschäftigt. Ich habe versucht, und hoffentlich ist es mir auch gelungen, dies in einer Formulierung auf den Punkt zu bringen. Dafür habe ich eben diese englische Redewendung weitergedreht und sage: »Ne, noch nicht mal der Teufel...«
 
Die Veröffentlichung war erst Ende Januar, also ist noch alles relativ frisch. Das Kribbeln, das so ein Release mit sich bringt, ist demnach wohl noch da?
Absolut. Ich muss auch sagen, dass ich bei diesem Release die CD auch selber noch hören kann, was nicht immer so ist. Manchmal brauche ich eine Pause, wenn das Album auf dem Markt ist, dann will ich zwei Wochen gar nichts davon hören. Dieses Album lege ich immer noch gerne in den Player. Und die Reaktionen, die wir auf das Album bekommen, sind phänomenal. In der Masse gab es das in der Bandgeschichte noch nie. Darum ist auch das Kribbeln noch groß.
 
Wie wichtig ist es für dich, dich auf einem neuen Album – es ist immerhin das achte – nicht zu wiederholen, sondern neue Wege zu gehen?
Eigentlich sehr wichtig.
 
Verprellt man damit aber nicht seine treuen Fans?
Das ist eine berechtigte Befürchtung und ich glaube, das hat in unserer Anfangsphase sicherlich zu Problemen geführt. Mittlerweile ist das ein Trademark von Diorama geworden. Menschen, die uns hören, wissen, dass sie nicht mit einer Erwartungshaltung an uns herantreten dürfen, sondern uns mit einer gewissen Offenheit entgegentreten müssen. Sonst werden sie nicht zufriedengestellt.
 
Deine Songs sind vorwiegend in englischer Sprache, ab und an taucht auch einer auf Deutsch auf. Wann entscheidest du dich beim Songwriting für deine Muttersprache?
Grundsätzlich ist es so, dass ich das Songwriting nicht bewusst steuere. Ich setze mich nicht hin und nehme mir vor, ein Lied auf meinetwegen Dänisch zu schreiben. Ich bin im Studio, bin unterwegs und schaue mir die Welt an, und dann kommt mir eine Zeile oder ein Refrain in den Kopf. Ich kann die Sprache, in der dies passiert, nur zu einem gewissen Teil beeinflussen. Leider ist es so, dass deutsche Texte sich dabei nicht so durchsetzen können. Ich hätte zwar nichts dagegen. Aber die meisten Ideen kamen in englischer Sprache.
 
Welche Sprachen sprichst du?
Spanisch, Französisch und eben Englisch und Deutsch. Ach, und noch Schwäbisch, die Sprache kann ich ziemlich gut (lacht).
 
In Spanisch oder Französisch gibt es aber noch keine Diorama-Songs?
Ich hatte immer wieder diese Idee. Mich hat es oft in den Fingern gejuckt, das Songwriting in diese Richtung zu steuern. Aber das will ich nicht mit der Brechstange erzielen, nur um das mal gemacht zu haben. Wenn sich das ergibt – sehr gerne.
 
Du hast schon viel von der Welt gesehen. Gibt es noch einen Flecken, wo du unbedingt hinwillst?
Mich würde sehr eine Nord-Amerika-Tour reizen. In den USA zu spielen, ist auf jeden Fall ein Traum von mir. Die Schwierigkeit ist die Kostenfrage. Bei so einer großen Bandproduktion wie wir es sind, wenn man dann noch die Crew dazurechnet, wird es schwer, die Kosten auf einen Veranstalter umzuwälzen. Vielleicht ja mit einer abgespeckten Version. Außerdem finde ich Japan interessant, Korea. Wir haben auf der Welt unsere Schwerpunkte, wo wir viel Anerkennung erfahren und bekannter sind als in Deutschland. Das sind zum Beispiel Serbien, Griechenland oder Russland. Aber darauf wollen wir uns nicht ausruhen. Die Welt ist groß, es gibt noch viel zu entdecken.
 
Sind die Reaktionen auf die Musik von Land zu Land unterschiedlich?
Das kann man so sagen. Generell gibt es natürlich mentale Unterschiede und auch im Verhalten der Fans auf den Konzerten. Es gibt zum Beispiel einen großen Unterschied zwischen der Schweiz und Russland. Während es in der Schweiz etwas reservierter zugeht, ist in Russland alles enthusiastischer. Ansonsten gibt es unterschiedliche Färbungen, welche Musiktrends in welchem Land populär sind. Russland zum Beispiel ist sehr Synthie-Pop-lastig, das kommt uns entgegen. Bei uns in Deutschland wird diese Art von Musik dagegen so gut wie gar nicht präsentiert. Darum ist unsere Popularität hier auch nicht so ausgeprägt.
 
Was ist das Typische an euren deutschen Fans, die sie von anderen Fans auf dem Globus unterscheidet?
Zunächst gibt es ein große Solidarität und eine große Bereitwilligkeit zur Unterstützung. Wenn wir uns eine Aktion für die Fans einfallen lassen, dann ist immer eine sehr hohe Beteiligungsquote da. Unsere deutschen Fans zeichnen sich durch eine starke Bindung und durch eine starke Treue aus – und das seit Jahren. Vor dem Hintergrund, dass wir es unseren Fans nicht immer einfach gemacht haben, ist es etwas ganz Spezielles. Außerdem ist das eine Fangruppe, die sich intensiv mit den Texten beschäftigt und mit den Aussagen auseinandersetzt. Die deutschen Fans kommen nicht einfach nur zum Tanzen, sie wollen auch die Gedanken verstehen, die hinter den Songs stecken.
 
Du hast »Diorama« bereits 1996 gegründet, gibst überall auf der Welt Konzerte und doch findet »Diorama« in der öffentlichen Wahrnehmung kaum statt. Ist das ein von dir bewusst gewählter Weg?
In Deutschland muss man regionale Unterschiede machen. Es gibt Gegenden, in denen wir bekannter sind. Das trifft auf meine Heimatstadt Reutlingen oder auch die Region Stuttgart eher weniger zu. Aber ich beabsichtige das nicht, um mich zurückzuziehen und ein Refugium zu etablieren. Dafür gibt es zwei Gründe. Auf der einen Seite ist unsere Art von Musik hier in der Region nur wenig bis gar nicht repräsentiert. Es gibt hier relativ wenig Ahnung davon, was in dem Musikgenre weltweit passiert und welche Bands eine Rolle spielen. Das merkt man unter anderem auch daran, dass wenn über Konzerte berichtet wird, dann schreiben das Menschen, die in der Vergangenheit so gut wie keine Berührungen mit dieser Musik hatten und darum etwas fremdeln. Auf der andere Seite liegt es auch sicherlich daran, dass wir uns an regionalen Aktionen wie Band-Nacht XY oder lange Nacht der Kneipen bisher nicht beteiligt haben. Es hat irgendwo der Antrieb gefehlt. Das sind Plattformen, auf denen Bands zum regionalen Bekanntheitsgrad gelangen. Von daher sind wir vielleicht sogar auch selber schuld.
 
Dennoch ist es für die meisten Künstler etwas Besonderes, in der Heimatstadt zu spielen. Freust du dich auf euer Konzert im franz.K? (Anmerkung von mir: Das Konzert war bereits am 9. März)
Ich freue mich sehr. Es ist mittlerweile das fünfte oder sechste Mal, dass wir im Nepomuk oder im franz.K spielen und es war jedes Mal der Knaller. Toll ist, dass das Publikum sehr gemischt ist. Es sind viele Reutlinger da, viele, die einfach mal reinschnuppern möchten und uns noch nicht wirklich kennen. Und vor allem pilgern dann Menschen aus allen Ländern nach Reutlingen, um uns zu sehen. Beim letzten Konzert waren Fans aus Mexiko da. Dieses Mal wissen wir schon, dass Menschen aus Russland und Polen kommen. Wahrscheinlich bekommen wir auch Besuch aus Serbien und Spanien. Diese Menschen nehmen wirklich weite Wege auf sich, um nach Reutlingen zu kommen. Nicht nach Berlin, nicht nach Hamburg. Das wird für einen kurzen Moment zu einem internationalen Kulturereignis. Das ist faszinierend.

Tiemo Hauer: Ich möchte ehrlich sein

Foto by Fabian Pfister
Mit gerade einmal 23 Jahren hat der Sänger Tiemo Hauer, im März zu Besuch im Tübinger Sudhaus, die Charts erobert und bereits ein Majorlabel bewusst in den Wind geschossen. Was bei den meisten seiner Branche einem Dolchstoß für die eigene Karriere gleich käme, hat den jungen Stuttgarter beflügelt. Im Gespräch mit mir wirkt er zufrieden, gewährt – wie in seinen Songs – Einblicke in sein Innenleben und sinniert über sein Image im Musikbusiness.

Beobachtest du die aktuellen deutschen Charts?
Die Charts an sich nicht. Das bedeutet zwar nicht, dass ich mich nicht für neue Musik interessiere. In den Charts taucht aber nicht unbedingt meine Musik auf.

Welche Musik interessiert dich? Was läuft in deiner heimischen Musikanlage?
Es gibt eine Band, die mich schon seit einer ganzen Weile verfolgt: »Sigur Rós« aus Island. Sie machen eine Art von sphärischer Musik, geht in Richtung Post-Rock. Ich finde, das ist eine unglaublich gute Band. Insgesamt habe ich einen ziemlich Indie-angehauchten Musikgeschmack. 

Was zeichnet für dich gute Musik aus?
In erster Linie muss mich die Musik bewegen. Und Musik bewegt mich dann, wenn sie vom Herzen kommt, wenn sie von einem Musiker gespielt wird, der sie auch geschrieben hat.
Achtest du dabei besonders auf die Komposition oder ist für dich der Text wichtig?
Bei deutschen Songs achte ich extrem auf den Text. Bei englischen Liedern höre ich zuerst die Musik. Der Text kommt dann eher beim zweiten Hören. Bei meiner erwähnten Lieblingsband »Sigur Rós« – sie singen auf Isländisch – verstehe ich kein Wort. (lacht) Aber wenn mir ein Lied vom Klang her besonders gefällt, dann versuche ich den Songtext mithilfe von Übersetzungsprogrammen im Internet zu übersetzen, um zu verstehen, worüber sie überhaupt singen.

Deine Songs sind vor allem eines: gefühlvoll und melancholisch. Es klingt fast so, als würdest du dabei keine Freude empfinden...
(Lacht) Nein, überhaupt nicht. Die Musik ist für mich ein Ventil für diese Seite meiner Gefühlswelt. Ich kann das gar nicht genau beschreiben... Die Melancholie fällt mir erst auf, wenn mich Leute fragen: »Tiemo, dein Album klingt so düster, was war denn los mit dir?« Die Antwort ist immer »Nichts«. Es gab natürlich Sachen, die mich persönlich beschäftigt haben, und ich habe in diesen Momenten auch meistens die Songs geschrieben, weil es für mich die inspirierendsten Momente sind. Aber als Mensch bin ich nicht die ganze Zeit eine Tränendrüse.

Was bereitet dir Freude?
Große Freude bereitet mir, mich mit Freunden und Menschen, die ich gernhabe, zu umgeben und mit ihnen unterwegs zu sein. Auch weil meine Bandmitglieder inzwischen sehr gute Freunde geworden sind, ist es für mich das Größte, auf Tour zu gehen. Wenn ich Zeit mit Menschen, die mir nahstehen, verbringen kann, ist es das Schönste, was es gibt.

Mit deinen Texten lässt du deine Fans relativ intensiv an deinem Innenleben teilhaben. Macht diese Art von Seelenstriptease nicht besonders angreifbar?
Es macht mich sicherlich angreifbar, aber ich habe keine Angst davor. Ich betrachte diese Offenheit als fast notwendig. Ich möchte anderen Menschen die Musik geben, die sie bewegt. Ich schreibe über Dinge, die mich beschäftigen. Wenn ich das Gefühl hätte, das wäre zu ehrlich und ich müsste eine Passage umschreiben, um den Song zu veröffentlichen, dann wäre das falsch. Ich möchte ehrlich sein und dem Zuhörer die Möglichkeit geben, zu sagen: »Mir ging es auch schon einmal so.« In diesem Fall muss ich mich angreifbar machen, und das tue ich gerne. Wenn jemand mich persönlich angreifen wollte, könnte er natürlich aus meinen Liedern zitieren. Aber ich glaube nicht, dass es jemand machen würde. Es sei denn, dieser jemand möchte meine Musik kritisieren. Aber dann ist es eine Kritik an der Art meines Songschreibens, an den Texten oder der Musik und nichts Persönliches.

Wie gehst du mit Kritik um?
Ich finde Kritik unheimlich wichtig. Wenn jemand etwas scheiße findet, dann soll er mir das bitte auch sagen. Ich habe dann zwar kein Problem damit. Aber es beschäftigt mich trotzdem. Ich will wissen, warum. Nicht unbedingt, weil ich dann zwangsweise etwas verändern werde. Ich möchte das einfach verstehen, was genau nicht gefällt.

In Liedern fällt es dir leicht, über Gefühle zu sprechen. Wie sieht es im wahren Leben aus?
Musik ist für mich eine andere Welt. Ich habe neulich einen Film gesehen. Er spielte in den 30er Jahren und es ging eigentlich um die Oper. Und dort ist ein Satz gefallen, den ich sehr lustig und zutrefflich fand: »Alles, was gesprochen zu dumm klingt, wird in der Oper gesungen.« So kommt es mir auch teilweise vor. (lacht) Es gibt Dinge, die man einfach schlecht sagen kann. Gedanken, die man nur in der Musik ausdrücken kann. Im wahren Leben würde ich sie verschweigen oder zumindest anders formulieren.

Bevor du den Durchbruch als Singer/Songwriter geschafft hast, hast du in einer Rockband gespielt. Wie viel Rocker steckt noch in dir?
Ich glaube sehr viel. Dadurch, dass ich das auch privat höre, steckt das ganz sicher noch in mir. Dass meine eigene Musik so gar nicht danach klingt, verstehe ich manchmal selber nicht. (lacht) Wenn man zu einem Live-Konzert von mir kommt, dann merkt man auch, dass noch genug Rock in mir steckt.

Die Art von Musik, die du heute machst, macht dich in den Augen vieler gleich zum Vorzeigeschwiegersohn. Ein Klischee?
(Lacht) Also ich glaube, wenn man sich intensiv mit meiner Musik beschäftigt, merkt man, dass ich nicht der Vorzeigeschwiegersohn bin. Im Grunde habe ich mit diesem Klischee auch nicht zu kämpfen. Diese Meinung kommt eher davon, dass da einer kurz hinschaut, kurz hinhört und denkt: »Ach, das ist aber ein Netter.« 

Als Musiker wird man gerne irgendwohin gesteckt, wo man sich selber nie sieht. Wie gehst du allgemein mit Schubladendenken um?
Ich finde das natürlich nie cool. Ich selber versuche bei Musik auch so wenig wie möglich in Schubladen zu denken. Aber ich glaube, viele Menschen brauchen das. Sie stecken gerne etwas in Schubladen, um es für sich leichter zu kategorisieren. In eine Schublade steckt man immer dann etwas, wenn man sich damit nicht intensiv genug beschäftigt. Persönlich finde ich das schade. Aber es ist auch okay, wenn mich jemand in die Schublade »deutscher Songwriter« steckt, dann passt das schon. Ich schreibe meine eigenen Texte und Musik, ich singe – also habe ich in der Schublade Platz gefunden. Wenn man sich aber länger damit beschäftigt, wird man die Schublade auch wieder los.

Wie wichtig ist in der Musikbranche ein bestimmtes Image, um erfolgreich zu sein?
Ich glaube, ich pflege mein Image, indem ich die Sachen einfach so mache, wie ich sie mache. Ich inszeniere kein bestimmtes Image, wenngleich ich merke, dass ich ein gewisses Image habe – gerade in der Musikbranche. Dadurch, dass ich von mir aus ein großes Plattenlabel (Universal, Anm. d. Red.) verlassen habe, habe ich dort den rotzigen Ruf weg. Da bin ich derjenige, der den Stinkefinger hebt. (lacht) Es ist aber auch ein gewisses Image, wenn man sich entschließt, seine Texte und Musik selber zu schreiben, alles selber zu produzieren. Das habe ich mir nicht vorher überlegt, nicht ge­plant. Aber all das ist jetzt zu meinem Image geworden. Ob und wie wichtig dieses Image aber für meine Karriere ist, kann ich nicht einschätzen.

Auf deinen Konzerten gibt es vom jungen Mädchen, das für dich schwärmt, bis hin zum Anzugträger, der irgendwo in der Ecke steht, nahezu jede Art von Publikum. Wundert dich diese Vielschichtigkeit deiner Fans?
Am Anfang hat sie mich gewundert, weil ich damit einfach nicht gerechnet habe. Als ich noch bei Universal war, gab es in der Presse eine Kommunikation, die sehr teenielastig war. Deswegen haben in der Anfangszeit vor allem jüngere Mädels von mir erfahren und waren auch auf den Konzerten. Das war mit ein Grund, warum wir dort weggegangen sind. Wir wollten unsere Musik für ein breiteres Publikum zugänglich machen und nicht irgendwelche kranken Marketingstrategien verfolgen. Die Menschen sollen einfach nur die Musik anhören. Und wenn sie ihnen gefällt, dann gut, wenn nicht, dann eben nicht. Dadurch haben wir viele andere Menschen erreicht und festgestellt, dass es ganz unterschiedliche Gruppen gibt, denen die Musik gefällt und die auf meine Konzerte kommen. Heute macht es mich stolz, so viele unterschiedliche Menschen bei den Live-Gigs zu sehen.

Für wen machst du die Musik: Fans oder für dich selbst?
Hauptsächlich für mich selbst. Meine Musik ist für mich ein Art Tagebuch. Ich schreibe die Songs, um für mich ein Gefühl zu verarbeiten.

Neben dir gibt es aktuell weitere erfolgreiche deutsche Singer/ Songwriter wie Tim Bendzko oder Philipp Poisel, um ein paar zu nennen. Auch da werden oft und schnell Vergleiche gezogen. Nervt dich das?
Eigentlich nervt mich das gar nicht. Philipp finde ich persönlich super und höre auch gerne seine Musik. Es gibt auch weitere Songwriter, die ich gut finde, aber Philipp fühle ich mich am nächsten.

Wie erklärst du dir den Erfolg der deutschen Singer/Songwriter-Gilde?
Ich weiß es überhaupt nicht. Ich habe mich auch schon gefragt, wo der Ursprung ist. Aber es muss schon früher gewesen sein, als wir – beispielhaft Tim Bendzko, Philipp Poisel oder ich, auch wenn ich mit meinen 23 Jahren noch der eher Jüngere davon bin – noch Teenies waren. Es muss etwas gegeben haben, was uns beschäftigt hat und weshalb wir angefangen haben, schnulzige Songs zu schreiben. Aber den Grund, warum diese Songs heute den Zahn der Zeit getroffen haben, kann ich mir nicht erklären. Einer der Gründe war sicherlich, dass nach viel Plastik-Musik und inszenierten Künstlern wie etwa bei »Deutschland sucht den Superstar«, wieder etwas da war, was echter klang, was greifbarer war. Also hat man wieder angefangen, deutsche Songwriter zu hören, die reduziert Musik gemacht und darin ihre Gedanken verpackt haben.

Musstest du lernen, mit Erfolg umzugehen, oder bist du eher jemand, der von Grund auf mit beiden Beinen auf dem Boden ist?
Ich bin keiner, der von Grund auf mit beiden Beinen auf dem Boden ist. Ich bin eher jemand, der heute hier, morgen dort und immer irgendwie wuselig ist. Aber dadurch, dass sich meine Karriere so langsam und so gesund entwickelt hat, habe ich den Erfolg gar nicht so mitbekommen. Es hat sich nichts schlagartig verändert. Mein Umfeld ist immer dasselbe geblieben. Wir sind alle zusammen diesen Weg gegangen und darum realisieren wir es oft auch gar nicht, wie groß die Sache inzwischen geworden ist. Wenn mal wieder ein Konzert ansteht, dann sehen wir erst, wie viele Leute da stehen, die einen sehen wollen. In diesen Momenten merke ich, was wir inzwischen auf die Beine gestellt haben.

Gab es niemanden, der dich an die Hand nehmen und dir sagen musste, du solltest mal schön die Füße stillhalten und auf dem Boden bleiben?
Ach doch, auf jeden Fall. Bei mir gibt es ganz sicher Momente, in denen ich zu dick auftrage. Meine Kumpels lachen mich dann kurz aus und sagen: »Hauer, komm mal wieder runter!« So halten sie mich am Boden. Einen Moment, in dem ich vollkommen ausgetickt bin, gab es aber nicht.

Du lebst noch in deiner Heimatstadt Stuttgart. Zieht es einen Musiker mit Anfang 20 nicht in die große weite Welt?
Mich zieht es zwar in die weite Welt hinaus, aber nicht um dort zu wohnen. Ich wohne unheimlich gern in Stuttgart. Dadurch, dass ich viel unterwegs bin, ist Stuttgart für mich ein schöner Ort, um heimzukommen. Ich kann hier super leben, hier gibt es alles. Wenn ich feiern will, gehe ich in die Stadt. Aber ich kann genauso gut meine Ruhe haben und stundenlang im Wald spazieren. Ich finde diese Mischung so toll.

Du spielst am 28. März im Tübinger Sudhaus. Tübingen ist von deinem Zuhause jetzt nicht so weit weg. Wird das Konzert ein Heimspiel für dich?
Ein richtiges Heimspiel nicht. Aber dadurch, dass Freunde von mir in Tübingen studieren, meine Schwester dort studiert hat und ich öfter in Tübingen war, wird es zwar kein hundertprozentiges Heimspiel, sondern – sagen wir mal – ein achtzigprozentiges. (lacht)

Freitag, 15. März 2013

Der Herr im "Paradise"

Jeder kennt es – eigentlich. Und doch gibt man das selten offen zu. Am südlichen Rand von Stuttgart, in Leinfelden-Echterdingen, steht mit dem »Paradise« das größte Bordell Europas und trotz der rund 36 Mrd Euro Umsatz im Jahr fristet die Rotlichtbranche ein Dasein abseits der Gesellschaft. Jürgen Rudloff ist eine schillernde Persönlichkeit und Bordell-Besitzer – und er investiert viel Kraft und Geld, damit dieses Gewerbe über ein Jahrzehnt nach der Verabschiedung des Prostitutionsgesetzes seine öffentliche Anerkennung findet.

Teurer Designeranzug, zurückgekämmtes mittellanges Haar, braungebraunte Haut, fester Händedruck und beim freundlichen Lächeln blitzen perfekte weiße Zähne hervor – Jürgen Rudloff ist ein Mann, wie man ihn oft zwischen Saint Tropez und Sankt Moritz trifft. Doch sieht so auch ein Bordell-Besitzer aus? Andererseits: Wie sieht ein typischer Bordellbesitzer überhaupt aus? Rudloff ist jemand, der in der Öffentlichkeit steht, der die Öffentlichkeit sucht. Er hat wenig bis gar nichts von dem Zwielichtigen, das die Bordell-Branche nach wie vor umgibt. Und doch gehört ihm mit dem »Paradise« in Echterdingen das laut eigener Aussage »größte Bordell Europas«.
»Ich habe das Rad nicht neu erfunden«, sagt der Endfünfziger. Nur dreht er das Rad eben etwas anders als andere. Raus aus dem Verborgenen, rein in die Mitte. Es beschäftigt ihn sichtlich, dass die Prostitution, »das älteste Gewerbe der Welt«, noch immer ein Dasein abseits der Gesellschaft fristet, Prostitutionsgesetz hin, Prostitutionsgesetz her. Und er hat es sich auf die Fahnen geschrieben, dies zu ändern. Als Flaggschiff dient ihm dabei der FKK Sauna-Club. Mit ihm möchte er zeigen, wie es auch funktionieren kann. Im noblen Ambiente, mit viel geschäftlicher Transparenz und fernab von dunklen Seitengassen können Prostituierte ihrem Gewerbe nachgehen. Sie sind – das ist Rudloff wichtig zu betonen – alle registriert und eingetragen. Alle zahlen Steuern und müssen einen Gesundheitsnachweis erbringen. Der 59-Jährige legt viel Wert darauf, dass in seinem Laden alles sauber und geregelt abläuft. Negativschlagzeilen kann er sich in der Branche kaum erlauben. »Ich muss mich immer neu beweisen«, sagt er. »In dieser Branche ist man immer in der Bringschuld.«
Selbstredend, dass das nicht spurlos an einem vorbeigeht. Der Kampf, die Prostitution gesellschaftsfähig zu machen, kostet auch ihn viel Kraft. Manchmal frustriert er ihn. Doch seine Motivation zieht der Vater von vier Kindern, der als kleiner Junge noch davon geträumt hat, ein professioneller Fußballspieler zu werden, aus den kleinen Dingen. »Wenn ich heute ins Stadion gehe und dort Menschen treffe, von denen ich weiß, dass sie nicht unbedingt die Prostitution befürworten und diese mir anerkennend auf die Schulter klopfen – das motiviert mich, weiterzumachen.« Trotz oder sogar wegen den Rückschlägen, die in Zukunft vielleicht noch folgen werden.
Heute ist das Paradise ein fester Bestandteil der Gemeinde im Süden der Landeshauptstadt. Das war beileibe nicht immer so. Als die Einrichtung vor fünf Jahren aufgemacht hat, gab es Widerstand. Der Gemeinderat, die Bevölkerung waren – milde gesagt – skeptisch. Die Bild-Zeitung titelte »Hureninvasion an der Messe«. Die Anwohner waren schockiert. »Am Anfang hofften und dachten viele, uns würde schnell die Luft ausgehen«, sagt Rudloff. »Heute, da gebe ich Ihnen Brief und Siegel, ist der Gemeinderat zufrieden damit, dass wir da sind.« 60 Arbeitsplätze habe er geschaffen, seine Mitarbeiter würden alle gut bezahlt, rund eine Viertelmillion Euro Steuern zahle er jährlich an die Gemeinde. »Und es stinkt mir gewaltig, dass das überhaupt nicht anerkannt wird«, wird er ganz kurz ungehalten. Stattdessen hieße es immer »Puff, Nutten, Freier«. Doch Rudloff hat gelernt, damit zu leben. Es gebe nunmal die verbreitete Meinung, alle Menschen, die im Rotlichtmilieu arbeiten, seien böse. »Daran werde ich alleine auch nichts ändern können«, sagt er. Doch er wird auch nicht müde, dies weiter zu versuchen. Er wird es müssen.

Schwäbischer Whisky: Destillierter Zufall



Schwaben und Schotten – eines haben sie, wofür sie in der ganzen Welt bekannt sind: Beiden sagt man einen gewissen Hang zum Geiz nach. Doch es gibt noch eine weitere Gemeinsamkeit, von der jedoch weit weniger Menschen wissen. Beide können hervorragenden Whisky produzieren. Und einer dieser Schwaben, dessen Whisky sogar den Weg in die heilige »Whisky-Bible« gefunden und zahlreiche Preise gewonnen hat, sitzt mit Volker Theurer in Tübingen.

Es war wie so oft der Zufall der Wegbereiter für etwas Außergewöhnliches. Denn genau diesem ist es zu verdanken, dass man Tübingen heute auch als die Heimat eines mehrfach ausgezeichneten Whiskys nennen darf. Volker Theurer, gelernter Koch und Inhaber des Gasthofs Lamm in Unterjesingen, wo Obst- und Getreidebrände Tradition haben, ist heute derjenige, der den Begriff »schwäbischer Whisky« prägt. Er war 1991 einer der Ersten überhaupt, die das Getränk, das man sonst aus Schottland, Irland oder den USA kennt, im Schwabenland hergestellt haben.  Er erinnert sich: »In dem Jahr, als wir im Gasthof eine neue Brennerei eingerichtet haben, gab es nicht so viel Obst, also habe ich entsprechend mehr Getreide gebrannt.« Und ein weiteres »Problem« ereilte ihn: Er hatte nicht genügend Glasballons, um den ganzen Schnaps abzufüllen. Glücklicherweise hatte er kurz davor ein paar Holzfässer gekauft. Dort landete dann der übrige Kornbrand.
Jahre vergingen, der Brand lag schön verwahrt in den Fässern. Eines Tages kam ein Wirt einer Westernkneipe im Gasthof vorbei und fragte Theurer, ob er denn nicht Whisky brennen möchte. Der Startschuss für den passionierten Brennmeister, sich in die Thematik reinzuarbeiten. »Und dann habe ich auch schnell gemerkt, dass ich den Whisky doch schon lange im Keller habe.«
Es fällt schwer, den schwäbischen Whisky mit seinen bekannten Vorbildern zu vergleichen. Auch unter den traditionellen Whiskys gibt es unzählige Unterschiede. Nur in der Art und Weise der Herstellung kann man beim Theurers Whisky eine Ähnlichkeit mit dem schottischen Single Malt entdecken. Die Produkte, die er für die Herstellung benötigt, kommen aber alle aus der Region. Wie gut sein Whisky dabei im direkten Vergleich abschneidet? »Also die Kritiker finden meinen Whisky ganz gut«, sagt er.  Aber es sei schwer zu sagen, was gut und was nicht gut ist. Alles eine Frage des Geschmacks. »Wenn jemand keinen Rauchgeschmack mag, wird ihm der beste und teuerste Whisky der Welt nicht schmecken.«
Theurers Ammertalwhisky scheint hingegen vielen zu schmecken, und er überrascht sogar große Kenner. Der »Whisky-Guide Deutschland« (Herausgeber: Christian H. Rosenberg) adelte Theurers Brennkünste und erklärte seine Destille zu »einer der besten Whisky-Brennereien Deutschlands«. Jim Murray zeichnet ihn regelmäßig in seiner »Whisky-Bible« mit hohen Benotungen aus. Auch die DLG hat den Whisky mehrfach prämiert. Heute legt der 44-Jährige nicht mehr so viel Wert auf diese Preise: »Ich weiß, dass mein Whisky schmeckt.
Und das Wichtigste ist, er schmeckt meinen Kunden.«
Seine Anhänger hat der schwäbische Whisky sogar im Mutterland des Whiskys. Und die Schotten sind überrascht, ja sogar verwundert, dass es solchen Whisky in Deutschland gibt. Dass die Popularität des schwäbischen Whiskys weit hinter der seiner großen Vorbilder liegt, begründet sich nicht zuletzt in der noch nicht so langen Tradition. Während man im Norden Großbritaniens seit Jahrhunderten Whisky produziert, gibt es ihn hier erst seit rund 25 Jahren. Und wer weiß, vielleicht wird es eines Tages so weit sein, dass die Schotten und die Schwaben in der Welt nicht nur für eine Gemeinsamkeit stehen, sondern für mindestens zwei. Ein reiner Zufall wäre das ganz sicher nicht, auch dank Volker Theurer.