Montag, 18. März 2013

Tiemo Hauer: Ich möchte ehrlich sein

Foto by Fabian Pfister
Mit gerade einmal 23 Jahren hat der Sänger Tiemo Hauer, im März zu Besuch im Tübinger Sudhaus, die Charts erobert und bereits ein Majorlabel bewusst in den Wind geschossen. Was bei den meisten seiner Branche einem Dolchstoß für die eigene Karriere gleich käme, hat den jungen Stuttgarter beflügelt. Im Gespräch mit mir wirkt er zufrieden, gewährt – wie in seinen Songs – Einblicke in sein Innenleben und sinniert über sein Image im Musikbusiness.

Beobachtest du die aktuellen deutschen Charts?
Die Charts an sich nicht. Das bedeutet zwar nicht, dass ich mich nicht für neue Musik interessiere. In den Charts taucht aber nicht unbedingt meine Musik auf.

Welche Musik interessiert dich? Was läuft in deiner heimischen Musikanlage?
Es gibt eine Band, die mich schon seit einer ganzen Weile verfolgt: »Sigur Rós« aus Island. Sie machen eine Art von sphärischer Musik, geht in Richtung Post-Rock. Ich finde, das ist eine unglaublich gute Band. Insgesamt habe ich einen ziemlich Indie-angehauchten Musikgeschmack. 

Was zeichnet für dich gute Musik aus?
In erster Linie muss mich die Musik bewegen. Und Musik bewegt mich dann, wenn sie vom Herzen kommt, wenn sie von einem Musiker gespielt wird, der sie auch geschrieben hat.
Achtest du dabei besonders auf die Komposition oder ist für dich der Text wichtig?
Bei deutschen Songs achte ich extrem auf den Text. Bei englischen Liedern höre ich zuerst die Musik. Der Text kommt dann eher beim zweiten Hören. Bei meiner erwähnten Lieblingsband »Sigur Rós« – sie singen auf Isländisch – verstehe ich kein Wort. (lacht) Aber wenn mir ein Lied vom Klang her besonders gefällt, dann versuche ich den Songtext mithilfe von Übersetzungsprogrammen im Internet zu übersetzen, um zu verstehen, worüber sie überhaupt singen.

Deine Songs sind vor allem eines: gefühlvoll und melancholisch. Es klingt fast so, als würdest du dabei keine Freude empfinden...
(Lacht) Nein, überhaupt nicht. Die Musik ist für mich ein Ventil für diese Seite meiner Gefühlswelt. Ich kann das gar nicht genau beschreiben... Die Melancholie fällt mir erst auf, wenn mich Leute fragen: »Tiemo, dein Album klingt so düster, was war denn los mit dir?« Die Antwort ist immer »Nichts«. Es gab natürlich Sachen, die mich persönlich beschäftigt haben, und ich habe in diesen Momenten auch meistens die Songs geschrieben, weil es für mich die inspirierendsten Momente sind. Aber als Mensch bin ich nicht die ganze Zeit eine Tränendrüse.

Was bereitet dir Freude?
Große Freude bereitet mir, mich mit Freunden und Menschen, die ich gernhabe, zu umgeben und mit ihnen unterwegs zu sein. Auch weil meine Bandmitglieder inzwischen sehr gute Freunde geworden sind, ist es für mich das Größte, auf Tour zu gehen. Wenn ich Zeit mit Menschen, die mir nahstehen, verbringen kann, ist es das Schönste, was es gibt.

Mit deinen Texten lässt du deine Fans relativ intensiv an deinem Innenleben teilhaben. Macht diese Art von Seelenstriptease nicht besonders angreifbar?
Es macht mich sicherlich angreifbar, aber ich habe keine Angst davor. Ich betrachte diese Offenheit als fast notwendig. Ich möchte anderen Menschen die Musik geben, die sie bewegt. Ich schreibe über Dinge, die mich beschäftigen. Wenn ich das Gefühl hätte, das wäre zu ehrlich und ich müsste eine Passage umschreiben, um den Song zu veröffentlichen, dann wäre das falsch. Ich möchte ehrlich sein und dem Zuhörer die Möglichkeit geben, zu sagen: »Mir ging es auch schon einmal so.« In diesem Fall muss ich mich angreifbar machen, und das tue ich gerne. Wenn jemand mich persönlich angreifen wollte, könnte er natürlich aus meinen Liedern zitieren. Aber ich glaube nicht, dass es jemand machen würde. Es sei denn, dieser jemand möchte meine Musik kritisieren. Aber dann ist es eine Kritik an der Art meines Songschreibens, an den Texten oder der Musik und nichts Persönliches.

Wie gehst du mit Kritik um?
Ich finde Kritik unheimlich wichtig. Wenn jemand etwas scheiße findet, dann soll er mir das bitte auch sagen. Ich habe dann zwar kein Problem damit. Aber es beschäftigt mich trotzdem. Ich will wissen, warum. Nicht unbedingt, weil ich dann zwangsweise etwas verändern werde. Ich möchte das einfach verstehen, was genau nicht gefällt.

In Liedern fällt es dir leicht, über Gefühle zu sprechen. Wie sieht es im wahren Leben aus?
Musik ist für mich eine andere Welt. Ich habe neulich einen Film gesehen. Er spielte in den 30er Jahren und es ging eigentlich um die Oper. Und dort ist ein Satz gefallen, den ich sehr lustig und zutrefflich fand: »Alles, was gesprochen zu dumm klingt, wird in der Oper gesungen.« So kommt es mir auch teilweise vor. (lacht) Es gibt Dinge, die man einfach schlecht sagen kann. Gedanken, die man nur in der Musik ausdrücken kann. Im wahren Leben würde ich sie verschweigen oder zumindest anders formulieren.

Bevor du den Durchbruch als Singer/Songwriter geschafft hast, hast du in einer Rockband gespielt. Wie viel Rocker steckt noch in dir?
Ich glaube sehr viel. Dadurch, dass ich das auch privat höre, steckt das ganz sicher noch in mir. Dass meine eigene Musik so gar nicht danach klingt, verstehe ich manchmal selber nicht. (lacht) Wenn man zu einem Live-Konzert von mir kommt, dann merkt man auch, dass noch genug Rock in mir steckt.

Die Art von Musik, die du heute machst, macht dich in den Augen vieler gleich zum Vorzeigeschwiegersohn. Ein Klischee?
(Lacht) Also ich glaube, wenn man sich intensiv mit meiner Musik beschäftigt, merkt man, dass ich nicht der Vorzeigeschwiegersohn bin. Im Grunde habe ich mit diesem Klischee auch nicht zu kämpfen. Diese Meinung kommt eher davon, dass da einer kurz hinschaut, kurz hinhört und denkt: »Ach, das ist aber ein Netter.« 

Als Musiker wird man gerne irgendwohin gesteckt, wo man sich selber nie sieht. Wie gehst du allgemein mit Schubladendenken um?
Ich finde das natürlich nie cool. Ich selber versuche bei Musik auch so wenig wie möglich in Schubladen zu denken. Aber ich glaube, viele Menschen brauchen das. Sie stecken gerne etwas in Schubladen, um es für sich leichter zu kategorisieren. In eine Schublade steckt man immer dann etwas, wenn man sich damit nicht intensiv genug beschäftigt. Persönlich finde ich das schade. Aber es ist auch okay, wenn mich jemand in die Schublade »deutscher Songwriter« steckt, dann passt das schon. Ich schreibe meine eigenen Texte und Musik, ich singe – also habe ich in der Schublade Platz gefunden. Wenn man sich aber länger damit beschäftigt, wird man die Schublade auch wieder los.

Wie wichtig ist in der Musikbranche ein bestimmtes Image, um erfolgreich zu sein?
Ich glaube, ich pflege mein Image, indem ich die Sachen einfach so mache, wie ich sie mache. Ich inszeniere kein bestimmtes Image, wenngleich ich merke, dass ich ein gewisses Image habe – gerade in der Musikbranche. Dadurch, dass ich von mir aus ein großes Plattenlabel (Universal, Anm. d. Red.) verlassen habe, habe ich dort den rotzigen Ruf weg. Da bin ich derjenige, der den Stinkefinger hebt. (lacht) Es ist aber auch ein gewisses Image, wenn man sich entschließt, seine Texte und Musik selber zu schreiben, alles selber zu produzieren. Das habe ich mir nicht vorher überlegt, nicht ge­plant. Aber all das ist jetzt zu meinem Image geworden. Ob und wie wichtig dieses Image aber für meine Karriere ist, kann ich nicht einschätzen.

Auf deinen Konzerten gibt es vom jungen Mädchen, das für dich schwärmt, bis hin zum Anzugträger, der irgendwo in der Ecke steht, nahezu jede Art von Publikum. Wundert dich diese Vielschichtigkeit deiner Fans?
Am Anfang hat sie mich gewundert, weil ich damit einfach nicht gerechnet habe. Als ich noch bei Universal war, gab es in der Presse eine Kommunikation, die sehr teenielastig war. Deswegen haben in der Anfangszeit vor allem jüngere Mädels von mir erfahren und waren auch auf den Konzerten. Das war mit ein Grund, warum wir dort weggegangen sind. Wir wollten unsere Musik für ein breiteres Publikum zugänglich machen und nicht irgendwelche kranken Marketingstrategien verfolgen. Die Menschen sollen einfach nur die Musik anhören. Und wenn sie ihnen gefällt, dann gut, wenn nicht, dann eben nicht. Dadurch haben wir viele andere Menschen erreicht und festgestellt, dass es ganz unterschiedliche Gruppen gibt, denen die Musik gefällt und die auf meine Konzerte kommen. Heute macht es mich stolz, so viele unterschiedliche Menschen bei den Live-Gigs zu sehen.

Für wen machst du die Musik: Fans oder für dich selbst?
Hauptsächlich für mich selbst. Meine Musik ist für mich ein Art Tagebuch. Ich schreibe die Songs, um für mich ein Gefühl zu verarbeiten.

Neben dir gibt es aktuell weitere erfolgreiche deutsche Singer/ Songwriter wie Tim Bendzko oder Philipp Poisel, um ein paar zu nennen. Auch da werden oft und schnell Vergleiche gezogen. Nervt dich das?
Eigentlich nervt mich das gar nicht. Philipp finde ich persönlich super und höre auch gerne seine Musik. Es gibt auch weitere Songwriter, die ich gut finde, aber Philipp fühle ich mich am nächsten.

Wie erklärst du dir den Erfolg der deutschen Singer/Songwriter-Gilde?
Ich weiß es überhaupt nicht. Ich habe mich auch schon gefragt, wo der Ursprung ist. Aber es muss schon früher gewesen sein, als wir – beispielhaft Tim Bendzko, Philipp Poisel oder ich, auch wenn ich mit meinen 23 Jahren noch der eher Jüngere davon bin – noch Teenies waren. Es muss etwas gegeben haben, was uns beschäftigt hat und weshalb wir angefangen haben, schnulzige Songs zu schreiben. Aber den Grund, warum diese Songs heute den Zahn der Zeit getroffen haben, kann ich mir nicht erklären. Einer der Gründe war sicherlich, dass nach viel Plastik-Musik und inszenierten Künstlern wie etwa bei »Deutschland sucht den Superstar«, wieder etwas da war, was echter klang, was greifbarer war. Also hat man wieder angefangen, deutsche Songwriter zu hören, die reduziert Musik gemacht und darin ihre Gedanken verpackt haben.

Musstest du lernen, mit Erfolg umzugehen, oder bist du eher jemand, der von Grund auf mit beiden Beinen auf dem Boden ist?
Ich bin keiner, der von Grund auf mit beiden Beinen auf dem Boden ist. Ich bin eher jemand, der heute hier, morgen dort und immer irgendwie wuselig ist. Aber dadurch, dass sich meine Karriere so langsam und so gesund entwickelt hat, habe ich den Erfolg gar nicht so mitbekommen. Es hat sich nichts schlagartig verändert. Mein Umfeld ist immer dasselbe geblieben. Wir sind alle zusammen diesen Weg gegangen und darum realisieren wir es oft auch gar nicht, wie groß die Sache inzwischen geworden ist. Wenn mal wieder ein Konzert ansteht, dann sehen wir erst, wie viele Leute da stehen, die einen sehen wollen. In diesen Momenten merke ich, was wir inzwischen auf die Beine gestellt haben.

Gab es niemanden, der dich an die Hand nehmen und dir sagen musste, du solltest mal schön die Füße stillhalten und auf dem Boden bleiben?
Ach doch, auf jeden Fall. Bei mir gibt es ganz sicher Momente, in denen ich zu dick auftrage. Meine Kumpels lachen mich dann kurz aus und sagen: »Hauer, komm mal wieder runter!« So halten sie mich am Boden. Einen Moment, in dem ich vollkommen ausgetickt bin, gab es aber nicht.

Du lebst noch in deiner Heimatstadt Stuttgart. Zieht es einen Musiker mit Anfang 20 nicht in die große weite Welt?
Mich zieht es zwar in die weite Welt hinaus, aber nicht um dort zu wohnen. Ich wohne unheimlich gern in Stuttgart. Dadurch, dass ich viel unterwegs bin, ist Stuttgart für mich ein schöner Ort, um heimzukommen. Ich kann hier super leben, hier gibt es alles. Wenn ich feiern will, gehe ich in die Stadt. Aber ich kann genauso gut meine Ruhe haben und stundenlang im Wald spazieren. Ich finde diese Mischung so toll.

Du spielst am 28. März im Tübinger Sudhaus. Tübingen ist von deinem Zuhause jetzt nicht so weit weg. Wird das Konzert ein Heimspiel für dich?
Ein richtiges Heimspiel nicht. Aber dadurch, dass Freunde von mir in Tübingen studieren, meine Schwester dort studiert hat und ich öfter in Tübingen war, wird es zwar kein hundertprozentiges Heimspiel, sondern – sagen wir mal – ein achtzigprozentiges. (lacht)

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