Freitag, 15. März 2013

Der Herr im "Paradise"

Jeder kennt es – eigentlich. Und doch gibt man das selten offen zu. Am südlichen Rand von Stuttgart, in Leinfelden-Echterdingen, steht mit dem »Paradise« das größte Bordell Europas und trotz der rund 36 Mrd Euro Umsatz im Jahr fristet die Rotlichtbranche ein Dasein abseits der Gesellschaft. Jürgen Rudloff ist eine schillernde Persönlichkeit und Bordell-Besitzer – und er investiert viel Kraft und Geld, damit dieses Gewerbe über ein Jahrzehnt nach der Verabschiedung des Prostitutionsgesetzes seine öffentliche Anerkennung findet.

Teurer Designeranzug, zurückgekämmtes mittellanges Haar, braungebraunte Haut, fester Händedruck und beim freundlichen Lächeln blitzen perfekte weiße Zähne hervor – Jürgen Rudloff ist ein Mann, wie man ihn oft zwischen Saint Tropez und Sankt Moritz trifft. Doch sieht so auch ein Bordell-Besitzer aus? Andererseits: Wie sieht ein typischer Bordellbesitzer überhaupt aus? Rudloff ist jemand, der in der Öffentlichkeit steht, der die Öffentlichkeit sucht. Er hat wenig bis gar nichts von dem Zwielichtigen, das die Bordell-Branche nach wie vor umgibt. Und doch gehört ihm mit dem »Paradise« in Echterdingen das laut eigener Aussage »größte Bordell Europas«.
»Ich habe das Rad nicht neu erfunden«, sagt der Endfünfziger. Nur dreht er das Rad eben etwas anders als andere. Raus aus dem Verborgenen, rein in die Mitte. Es beschäftigt ihn sichtlich, dass die Prostitution, »das älteste Gewerbe der Welt«, noch immer ein Dasein abseits der Gesellschaft fristet, Prostitutionsgesetz hin, Prostitutionsgesetz her. Und er hat es sich auf die Fahnen geschrieben, dies zu ändern. Als Flaggschiff dient ihm dabei der FKK Sauna-Club. Mit ihm möchte er zeigen, wie es auch funktionieren kann. Im noblen Ambiente, mit viel geschäftlicher Transparenz und fernab von dunklen Seitengassen können Prostituierte ihrem Gewerbe nachgehen. Sie sind – das ist Rudloff wichtig zu betonen – alle registriert und eingetragen. Alle zahlen Steuern und müssen einen Gesundheitsnachweis erbringen. Der 59-Jährige legt viel Wert darauf, dass in seinem Laden alles sauber und geregelt abläuft. Negativschlagzeilen kann er sich in der Branche kaum erlauben. »Ich muss mich immer neu beweisen«, sagt er. »In dieser Branche ist man immer in der Bringschuld.«
Selbstredend, dass das nicht spurlos an einem vorbeigeht. Der Kampf, die Prostitution gesellschaftsfähig zu machen, kostet auch ihn viel Kraft. Manchmal frustriert er ihn. Doch seine Motivation zieht der Vater von vier Kindern, der als kleiner Junge noch davon geträumt hat, ein professioneller Fußballspieler zu werden, aus den kleinen Dingen. »Wenn ich heute ins Stadion gehe und dort Menschen treffe, von denen ich weiß, dass sie nicht unbedingt die Prostitution befürworten und diese mir anerkennend auf die Schulter klopfen – das motiviert mich, weiterzumachen.« Trotz oder sogar wegen den Rückschlägen, die in Zukunft vielleicht noch folgen werden.
Heute ist das Paradise ein fester Bestandteil der Gemeinde im Süden der Landeshauptstadt. Das war beileibe nicht immer so. Als die Einrichtung vor fünf Jahren aufgemacht hat, gab es Widerstand. Der Gemeinderat, die Bevölkerung waren – milde gesagt – skeptisch. Die Bild-Zeitung titelte »Hureninvasion an der Messe«. Die Anwohner waren schockiert. »Am Anfang hofften und dachten viele, uns würde schnell die Luft ausgehen«, sagt Rudloff. »Heute, da gebe ich Ihnen Brief und Siegel, ist der Gemeinderat zufrieden damit, dass wir da sind.« 60 Arbeitsplätze habe er geschaffen, seine Mitarbeiter würden alle gut bezahlt, rund eine Viertelmillion Euro Steuern zahle er jährlich an die Gemeinde. »Und es stinkt mir gewaltig, dass das überhaupt nicht anerkannt wird«, wird er ganz kurz ungehalten. Stattdessen hieße es immer »Puff, Nutten, Freier«. Doch Rudloff hat gelernt, damit zu leben. Es gebe nunmal die verbreitete Meinung, alle Menschen, die im Rotlichtmilieu arbeiten, seien böse. »Daran werde ich alleine auch nichts ändern können«, sagt er. Doch er wird auch nicht müde, dies weiter zu versuchen. Er wird es müssen.

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