Dienstag, 29. Oktober 2013

Unterwegs mit dem Chefankläger

Der Tübinger Regisseur Marcus Vetter hat in der Vergangenheit bereits zahlreiche Preise für seine Dokumentarfilme erhalten. Für seinen aktuellen Film »Der Chefankläger« begleitete er drei Jahre lang den ersten Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, Luis Moreno Ocampo, reiste mit ihm in die Krisenherde der Erde, sah ihm über die Schulter, traf Angelina Jolie und charismatische Idealisten. Ein Film und eine Begegnung, die das Denken und das Leben des Regisseurs nachhaltig prägen.

Chefankläger Luis Moreno Ocampo. Foto: Bukera Pictures

Es sind Bilder, die unter die Haut gehen. Bilder, die schockieren, und Bilder, die ein aufwühlendes Gefühl aus Nichts-tun-Können, Wut und Trauer hinterlassen. Ein kleiner Junge wird von afrikanischen Milizen verschleppt, auf die Laderampe eines Pick-ups geworfen, geschlagen und getreten. Ein israelischer Reporter telefoniert während einer Live-Sendung mit einem Mann im Gaza-Streifen, wo just in dem Augenblick des Telefonats eine eingeschlagene Granate seine Töchter tötet. Ein junger Heranwachsender wird von bewaffneten Milizen befragt, wo er herkomme. Flehend gibt er seinen Widersachern die Antworten, unsicher versucht er ihnen zu entkommen, nur nutzt das nichts. Er wird auf offener Straße erschossen.

Keine Hollywood-Produktion

Diese Szene sind keinen Hollywood-Produktionen entsprungen, sie sind real. Und sie sind ein kleiner und doch so wichtiger Bestandteil des neuen Films des Tübinger Regisseurs Marcus Vetter. In »Der Chefankläger« begleitete der schwäbische Filmemacher den ersten Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC), Luis Moreno Ocampo, drei Jahre lang und dokumentierte seine Arbeit und seinen Einsatz für mehr Gerechtigkeit auf der Welt. Eine Gerechtigkeit, die in vielen Ecken der Erde nicht vorkommt, das demonstrieren die gezielt eingesetzten Schock-Szenen. »Wir haben viel über diese Bilder diskutiert, weil sie so hart sind, dass sie einem nicht mehr aus dem Kopf gehen. Und weil sie nicht mehr aus dem Kopf gehen, müssen sie in den Film. Dem Zuschauer muss durch diese Bilder klar werden, warum der ICC so wichtig ist«, sagt der Regisseur und gibt damit zugleich seinen Antrieb für den Film preis.

»Der Chefankläger« war geboren

Der Internationale Strafgerichtshof mit Sitz in Den Haag nahm seine Arbeit am 1. Juli 2002 auf und ist dafür zuständig, gegen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Verbrechen der Aggression, die seit der Gründung auf der Welt geschehen, vorzugehen. All die Verbrechen, bei denen sich Führer über das Gesetz, über das Völkerrecht stellen. Jeder weiß, dass dies auf der Welt passiert. Aber man schaut gerne weg. Man ist froh, dass man nicht selber in der Situation steckt, und die Täter kommen ungeschoren davon. Seit nunmehr elf Jahren gibt es mit dem ICC aber eine Instanz, die diese Menschen vor Gericht stellt. Oder stellen könnte. Die Akzeptanz des Strafgerichtshofs ist nicht überall auf der Welt gleich. Länder wie die USA, Russland, China oder Israel sind keine Mitgliedsstaaten, für sie gilt das Rom-Statut, was die vertragliche Grundlage des ICC ist, nicht. Sie können nicht belangt werden. Wenn es nach dem ersten Chefankläger des ICC, Luis Moreno Ocampo, geht, noch. Seine mutige Vision von der Zukunft ist, dass in 20 Jahren alle Staaten der Welt dem ICC unterstellt sein werden. Der Weg dorthin wird aber lang und steinig. Auch heute noch wissen viele nichts von der Arbeit des Internationales Strafgerichtshofs. Das war auch Ocampo bei seiner Amtseinführung klar. Darum kontaktierte er den Tübinger Regisseur Marcus Vetter. Der ICC musste in die Öffentlichkeit! »Der Chefankläger« war geboren.

Palästina, die treibende Kraft

»Ursprünglich sollte es in dem Film um Paläs­tina gehen«, erinnert sich Vetter. Der Chefankläger sei auf ihn zugekommen, als er Vetters Film »Das Herz von Jenin« gesehen habe. Der Film erzählt die Geschichte des Palästinensers Ismail Khatib. Er spendete die Organe seines von den Israelis erschossenen Sohns an israelische Kinder. »Ocampo hat das Thema der Aussöhnung des Films sehr interessiert«, so der Regisseur. Der ICC befand sich in der Zeit an einem Punkt, an dem die Mitgliedschaft Palästinas heiß diskutiert wurde. Dies sollte das Thema der Dokumentation werden. Doch weil sich dieser Prozess immer mehr in die Länge zog, musste ein neuer Plan her.

Lubanga ein Glücksfall

»Uns war plötzlich klar, dass es nicht das alleinige Thema sein kann. ICC hat mehrere Fälle und wir haben nach einem roten Faden gesucht. Diesen haben wir in dem ersten Fall des ICC, der wirklich zum Abschluss gebracht wurde, gefunden«, berichtet der Filmemacher. Das war der Fall gegen Thomas Lubanga Dyilo, dem kongolesischen Milizenführer und Gründer der berüchtigten UPC. Er war der erste Angeklagte, der sich vor dem Internationalen Strafgerichtshof verantworten musste, und es war zeitgleich auch der erste und einzige Fall von Ocampo, der zum Abschluss gebracht wurde. Für das Filmteam ein Glücksfall: »Für uns war das natürlich toll. Wir konnten in das Gericht gucken, hatten Material exklusiv zur Verfügung gestellt bekommen.« Sie haben die Arbeit aller Beteiligten hautnah erlebt, konnten sich einen eigenen Eindruck vom Angeklagten machen – »Er sah nicht aus wie ein Monster« – und vor allem hatten sie eine Entscheidung in dem Film. Denn mit Lubangas Verurteilung endete auch Ocampos Amtszeit am Gerichtshof.

Ein Mann mit Charisma

Luis Moreno Ocampo ist eine schillernde Persönlichkeit. Das erste Mal trat er bei den Prozessen gegen die argentinische Militärdiktatur in Erscheinung. Richtig zu glühen begann sein Stern als Chefankläger. Mitunter wirkt er im Film, als würde er die Macht genießen, als würde er sich gerne im Mittelpunkt sehen. Der Filmemacher, der drei Jahre an Ocampos Seite verbracht hat, sieht das anders: »Er hat sehr viel Charisma, aber er drängt sich nicht auf.« Vielmehr sei es so, dass sich alle aufgrund seines Charismas auf ihn gestürzt haben, was ihm wiederum die Öffentlichkeit bescherte. Natürlich verstand es Ocampo auch, die Medien für sich zu nutzen, er hatte seine Antennen überall. Er wusste genau, warum er gerade bei seinem Fall, der auch noch mit einer Kamera begleitet wird, Hollywood-Superstar Angelina Jolie genauso mit ins Boot holte wie einen der Chefankläger der Nürnberger Prozesse, Benjamin Ferencz. Er wollte alles daransetzen, dass die Arbeit des ICC die Aufmerksamkeit bekommt, die sie seiner Meinung nach verdient.

Wie ein Besessener

Als Chefankläger arbeitete Ocampo wie ein Besessener, immer getrieben von seinem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und seinem Optimismus. Der Film zeigt ihn fast immer am Telefon – in seinem Büro, im Auto, im Flugzeug. Seine Gesprächspartner sind Rebellenführer und seine Assistenten. Er jettet von einem Land ins nächste, um diejenigen dingfest zu machen, die sich über das Völkerrecht setzen. Und doch gelingt und gelang ihm in seiner Amtszeit nicht alles. »Er hätte noch gerne vieles mehr als nur den Lubanga-Fall zu Ende gebracht«, so Vetter. Mit dem Staatspräsidenten des Sudan, Omar Hassan al-Baschir, hatte er eine Art Privatfehde. Der ICC erließ als Folge des Darfur-Konflikts einen Haftbefehl wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Der Präsident hat den Chefankläger immer wieder gefoppt, weil er ständig in Länder gereist ist, in denen er eigentlich hätte verhaftet werden sollen, weil sie dem ICC angehören. Und das ist nicht passiert. Das nagt – auch heute noch – an ihm. Er ist aber keiner, der dann den Kopf  in den Sand steckt und sagt, dass es nichts mehr bringe. Sondern er ist jemand, der andere Wege sucht.

Auf den Spuren von Gaddafi

Vetter hat ihn auf diesen Wegen begleitet. Sie führten ihn im Zuge der Dreharbeiten außer nach Den Haag auch nach Österreich, New York und nach Lybien. Lybien war dabei das einschneidendste Erlebnis. Zu der Zeit, als sich die Bevölkerung gegen ihren Despoten erhoben hat, war auch der Chefankläger Muammar al-Gaddafi und seinem Sohn Saif auf den Fersen. Sie sollten vor Gericht in Den Haag gestellt werden. »Wir hatten gar keine Einreiseerlaubnis, wir mussten uns reinschmuggeln lassen,« erinnert sich Vetter. »Das sieht man dem Film nachher nicht an, wie schwierig es war, mit Ocampo so schnell dorthin zu kommen.« Auch in Lybien zeigte sich, dass das Potenzial des Strafgerichtshofs noch ausbaufähig ist. Ja, sicherlich hätte der Chefankläger gerne Gaddafi vor Gericht gestellt, nur war es unter den gegebenen Umständen der Ermordung des ehemaligen Staatschefs durch die Rebellen nicht möglich. Aber seinen Sohn Saif hätte Ocampo sehr gerne in Den Haag gehabt. Bekommen hat er ihn nie, weil er sich vor der Gerichtsbarkeit des eigenen Landes verantworten muss. Aber aufgegeben hat der Chefankläger deswegen noch lange nicht.

Glaube an die Gerechtigkeit

Dieser unermüdliche Glaube an die Gerechtigkeit, der Antrieb Ocampos in all seinem Handeln, färbte bald auch auf den Regisseur ab. Ihn haben die Dreharbeiten nachhaltig geprägt, er weiß jetzt um die Bedeutung des ICC für die Welt. »All meine Filme sind für mich fast wie ein Universitätsstudium«, sagt Vetter. Dank seiner Filme – und besonders wegen Luis Moreno Ocampo – hat er gelernt, dass man manchmal die Sachen einfach machen muss. »Nicht lange darüber diskutieren, was nicht geht, sondern das zu tun, was geht!« Oft werde man zwar dafür kritisiert, wenn man etwas macht und es nicht so läuft, wie es sollte. Der Erste macht mehr Fehler als der Letzte. Bei jedem Computer-Programm ist die Version 1 nicht die beste. Aber ohne diese würde es auch keine Version 8 geben und es würde sich nichts ändern. Auch nicht das Schicksal tausender Unschuldiger, die leiden müssen.

Mittwoch, 2. Oktober 2013

Wenn Worte glücklich machen

Foto: Stefan Heilemann
Das Schreiben kann viele Gründe und Zwecke haben. Es dient der Information, der Unterhaltung oder dem Maßregeln. Für den Stuttgarter Björn Springorum hat das Schreiben eine ganze eigene Bedeutung: Es macht ihn glücklich. Umso schöner, wenn dabei etwas Spannendes für die Nachwelt entsteht. Denn im Oktober veröffentlicht der gelernte Journalist seinen ersten Roman.

Man muss als junger Autor heutzutage schon naiv genug sein oder einen sehr guten Plan haben, wenn man sich in die Fänge der Verlagswelt begibt. Klangvolle Namen gibt es viele, noch viel größer ist die Zahl derer, die mit ihren Werke ein trostloses Dasein fristen. Der Stuttgarter Björn Springorum wagt den Sprung in diese Gewässer. Am 11. Oktober erscheint bei Bastei Lübbe sein Debütroman »Der Herbstbringer«. Es ist die Geschichte eines jungen heranwachsenden Mädchens, das im Heim aufwächst und sich nicht an seine Vergangenheit erinnert, eines Mädchens, das ein dunkles Geheimnis in sich trägt. Es geht um Mystik, übernatürliche Mächte und um Vampire. Doch eines gleich vorweg: Auch wenn es ein Vampir-Jugendroman ist, mit Twilight hat dies rein nichts zu tun. Die Idee zu dem Buch entsprang einem nächtlichen Traum: Wie ist es, wenn man lebendig begraben wird? Und wie ist es, wenn man dabei unsterblich ist? Zugegeben, ein Traum, wie ihn nicht jeder träumt. Aber Björn Springorum ist auch nicht jeder.

Was für andere Menschen gute Filme, spannende Bücher oder actionreiche Videospiele sind, ist für den 30-Jährigen das Schreiben. »Beim Schreiben kann ich mich am besten entspannen«, sagt er. So kommt er zur Ruhe, findet den inneren Ausgleich und ist zufrieden. Schreibblockade? Kennt er nicht. Wenn er sich an den Rechner setzt und seine Gedanken und Ideen zu Papier bringt, ist er in einer Welt gefangen, in der er gerne ein Gefangener ist und aus der er nur ungerne wieder ausbricht. »Wenn ich mal aus Zeit- oder anderen Gründen nicht dazu komme, zu schreiben, merke ich schnell, dass mir irgendetwas fehlt, ich werde immer rastloser und ungeduldiger.« Das Absurde dabei ist, dass mit das Einzige, was ihn vom Schreiben abhält, das Schreiben selbst ist.
Björn Springorum arbeitet seit vielen Jahren als Journalist, er schreibt u.a. für die Stuttgarter Nachrichten, die Esslinger Zeitung, den Metal Hammer, Lift, Piranha und und und. Freizeit ist oft ein Luxusgut. Doch ist Schreiben nicht gleich Schreiben. »Ich liebe meinen Beruf, liebe es, Texte zu verfassen«, sagt er. »Aber wenn ich Bücher schreibe, dann ist es etwas ganz anderes.« Bücher seien viel persönlicher. In ihnen kehrt er sein Innerstes nach außen, verarbeitet Erlebtes, Träume und Gedanken bekommen eine Gestalt. Bücher zu schreiben ist für ihn das reine Glück.

»Der Herbstbringer« ist bereits das dritte Buch, von insgesamt vier, die er bereits geschrieben hat, und das erste, das in den Buchhandel kommt. Wenn Springorum über sein Werk spricht, dann redet er wie ein Vater, der über die ersten Schritte seine Sohnes berichtet. Er holt kaum Luft, lässt das frisch servierte Essen stehen, trinkt nur ab und an einen Schluck. Die Anekdoten, wie viel Glück er mit seiner Lektorin und seinem Verlag hatte, die kaum welche bis gar keine Änderungen am Manuskript hatten, sprudeln aus ihm heraus. Seine Aufregung so kurz vor dem Erscheinen des Buches ist greifbar. Er, der in seinem Berufsleben schon so viele Kritiken geschrieben hat, muss sich jetzt der Kritik von außen stellen. Ob er denn auch kritikfähig sei? »Das werde ich dann sehen, wenn die ersten negativen Kritiken kommen«, lacht der Autor. »Aber es allen recht machen kann man eh nicht.« So naiv ist er nicht.