Mittwoch, 3. April 2013

Muskeln unter Strom

EMS – das steht für »Elektrische Muskel-Stimulation« und ist ein neuer Trend im schnelllebigen Fitness-Universum. Dabei werden die Muskeln über Stromimpulse zur Anspannung gebracht. Das Ergebnis: effektives Krafttraining ohne Gewichte. Wie das genau funktioniert, ob es wehtut und wie sinnvoll das EMS Training überhaupt ist, das hat MORITZ-Redakteur Alexander Steinle in einem Selbstversuch herauszufinden versucht.

»Du machst was?« – diese Frage begleitete mich ständig, wenn ich das Thema der Gespräche im Freundeskreis auf EMS Training lenkte. Die einen wussten nicht, was EMS Training ist, die anderen dafür umso mehr. »Ja, ich lasse mir Strom durch die Muskeln jagen.« – »Warum?« – »Gute Frage...« Die Antwort finde ich heraus.
Lars Rometsch, der mit dem Sportsroom ein kleines EMS-Studio in Stuttgart-Weilimdorf betreibt, nimmt mich unter seine Fittiche und führt mich in die Welt des EMS Trainings ein. »EMS«, erklärt er, »steht für Elektrische Muskel-Stimulation.« Über Stromimpulse werden Muskeln zur Anspannung gebracht und man simuliert sozusagen das herkömmliche Krafttraining. Nur spart man sich dabei die Gewichte. Denn je nach Stromspannung und der dadurch resultierenden Anspannung wird den Muskeln suggeriert, sie müssten etwas Schweres heben. Die Kraft kommt aus der Steckdose.
Eine Frage spukt mir schon die ganze Zeit vor dem Selbstversuch im Kopf herum: Tut das weh? »Es kann wehtun«, der Trainer versucht gar nicht erst, mich zu beruhigen. Auf jeden Fall spüre man den Strom ganz deutlich. Das seien aber keine Schmerzen, wie man sie sonst kenne, es ist einfach eine starke Anspannung. Kurz übermannen mich Zweifel. Soll ich das wirklich machen? Ach, was soll’s, ich bin nicht der Erste und auch nicht der Letzte. Und überlebt haben bislang alle. Glaube ich…
Bevor es losgeht, muss ich noch eine Erklärung unterschreiben, in der ich versichere, keine akuten Erkrankungen und keinen Herzschrittmacher zu haben sowie nicht schwanger zu sein. Denn auch wenn EMS Training für fast alle geeignet ist – vom Freizeitsportler bis zum Profi, vom Jugendlichen bis ins hohe Alter – ein paar Sachen muss man beachten. Die Unterschrift ist trocken, jetzt gibt es kein Zurück mehr! »Wie groß ist in der Regel dein Schmerzempfinden?«, werde ich noch gefragt. »Kommt ganz auf die Art des Schmerzes an«, antworte ich und versuche möglichst cool zu wirken. Mein Gegenüber lächelt. Ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Egal, es ist zu spät.
Zunächst heißt es raus aus den Klamotten und rein in schwarze Baumwoll-Funktionswäsche. Darüber kommt der eigentliche Anzug mit Elektroden. Jeweils zwei befinden sich am Gesäß, am Bauch und an der Brust. Um die Oberschenkel und um die Oberarme kommen Extragurte. Alles sitzt ganz eng am Körper, ich fühle mich leicht eingeschnürrt. »Man fühlt sich doch gleich irgendwie besser, schlanker, oder?«, fragt mich Rometsch. "Ja, genau, oder wie eine Presswurst", denke ich noch. Doch hier geht es nicht ums Aussehen, hier geht es ums Überleben. Einen letzten Sicherheitshinweis gibt es noch: »Bei 40-50 Prozent der Menschen kann es vorkommen, dass sie bei der ersten Spannung Atemschwierigkeiten bekommen. Sobald du etwas Unangenehmes spürst, bitte gleich Bescheid geben. Ich stelle dann das Signal um.« Ich bin völlig entspannt...
Über jede Elektrode kann man individuell die Spannung in den jeweiligen Muskelgruppen steuern. Ist die Grundspannung eingestellt, wird es spannend. Vorsichtig wird der große Drehknopf an dem EMS-Gerät – dieses stammt von »Amplitrain« und arbeitet anders als andere auf dem Markt mit einer Mittelfrequenz, die tief in den Muskel vordringen soll – nach rechts gedreht. Ich spüre anfangs ein leichtes Kribbeln in den Muskeln. Ein Gefühl, wie man es von eingeschlafenen Gliedmaßen kennt. Alles halb so wild bislang. Die viel zu vielen Gedanken und Sorgen im Vorfeld waren unbegründet. Denke ich. Noch.
Oha! Das Signal wird stärker, die Spannung in den Muskeln größer. Die vermeintlich einfache Aufgabe für mich: Wenn die Spannung steigt, mit der Muskelkraft dagegen ankämpfen. Wenn die Spannung wieder etwas nachlässt, die Muskeln kurz lockern. Das ist schon mal kein Problem. Ich sehe wohl noch zu entspannt aus, denn kaum habe ich mich an den Strom gewöhnt, dreht der Fitnesstrainer den Drehknopf weiter nach rechts.
Okay, langsam verstehe ich, warum er mich nach meiner Toleranzgrenze bei Schmerzen gefragt hat. Die Elektroimpulse sind jetzt ganz deutlich zu spüren und ich kann nicht behaupten, dass sie schön angenehm sind. Die Anspannung bringt mich immer wieder aus der Grundstellung, immer wieder wird meine Haltung korrigiert: Rücken gerade, Schultern nach hinten, Arme im rechten Winkel und anspannen. Schmerzhaft ist es jedoch nicht. Es ist anstrengend. Nur an einer Stelle wird es langsam unangenehm, am Beckenboden. Dafür sorgen die beiden Elektroden auf den Oberschenkeln. »Das kommt bei Männern öfter vor, Frauen kennen sich da besser aus«, werde ich beruhigt und die Spannung wird ein wenig runtergedreht.
Ungefähr die Hälfte des 20-minütigen Trainingsprogramms ist vorbei, die ersten Schweißtropfen laufen über die Stirn, die Eingewöhnungsphase an den Strom habe ich gemeistert. Jetzt ist es an der Zeit, ein paar »echte« Übungen zu machen. Als erstes auf dem Plan: Bankdrücken, im Stehen, ohne eine Bank. Als der Impuls in den Muskeln ankommt, soll ich meine Arme langsam nach vorne strecken und dann wieder zurück. Die Muskeln fühlen sich an, als würde man gerade seinen 30. Liegestütz am Stück machen. Hobbysportler sagen dazu »die Muskeln brennen«. Und gleich noch einmal. Als Nächstes sind die Beine dran: Kniebeugen. Und auch bei diesen hat man das Gefühl, dass man einiges an Gewicht zugelegt hat. »Training für Faule«, wie einige glauben, ist EMS sicherlich nicht.
In der Regel lassen sich alle möglichen Übungen mit einem EMS-Gerät verbinden. Kraft, Koordination, Ausdauer – die Möglichkeiten sowie die Einsatzgebiete sind unterschiedlich. »Es sind grundsätzlich alle Übungen mit EMS möglich«, bestätigt Rometsch. Nur auf ein Laufband lasse er Menschen eigentlich ungerne. »Wenn sie laufen wollen, sollen sie das an der frischen Luft tun.«
A propos Luft, die habe ich noch, nur die Kräfte schwinden so langsam. Sehnsüchtig beobachte ich den Countdown auf dem Display. Nur noch ein bisschen, dann habe ich es geschafft. Was mich verwundert: Obwohl das Training relativ anstrengend ist, hatte ich erwartet, dass ich mehr schwitzen würde. Naja, vielleicht wurde ich als Anfänger ja noch geschont.
Als die 20 Minuten rum sind und der Strom weg ist, kann ich raus aus dem Anzug. Beim Umziehen merke ich, dass es in den Brustmuskeln schon ein wenig zieht. Tatsächlich ist auch das EMS Training kein Garant gegen Muskelkater. Aber aufgrund der kurzen und doch so intensiven Belastung soll er nicht so schlimm ausfallen. »Klassisches Krafttraining in dieser Intensität und du würdest dich die nächsten drei Tage nicht bewegen können«, sagt Rometsch. Ich glaube ihm das mal und bin insgeheim froh, dass es nur in der Brust zieht.
Alles in einem ist das EMS Training sicherlich eine gute Gelegenheit für Menschen mit Zeitproblemen, den Weg zum Sport zu finden. Denn 20 Minuten Trainingszeit lassen sich auch im stressigsten Alltag unterbringen. Das ist auch das große Plus dieser Methode. Für ältere Menschen ist es u.a. auch deswegen interessant, weil die Gelenkbelastung relativ gering ist. Für Sportler ist das EMS eine gute Erweiterung zu ihrem üblichen Training. Man kann Defizite gezielt ausgleichen und bei der Stärkung einzelner Muskelpartien relativ schnell Erfolge erzielen. Bei Kosten von bis zu 30 Euro pro Trainingseinheit muss sich aber jeder selber überlegen, ob es ihm das wert ist.

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